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In neueren mechanischen Uhrwerken wird fast immer die Schweizer Ankerhemmung verbaut. Davor war die Zylinderhemmung gebräuchlich und noch früher die Spindelhemmung. Daneben gibt es zahlreiche Hemmungen, die eher selten anzutreffen sind. Dazu gehört die Chronometer-Hemmung.
Ich stelle euch heute ein Werk mit einer solchen Chronometer-Hemmung vor. Leider ist das Gehäuse der Taschenuhr nicht erhalten geblieben. Vermutlich war es aus Gold und wurde so zum Opfer eines Goldschmelzers.
Das Werk hat einen Durchmesser von 20 Linien (ca. 45 mm) und wurde vermutlich um 1900 in der Schweiz hergestellt.
Den Hersteller konnte ich nicht eindeutig identifizieren, es könnte aber Jaquet & Girard aus La Chaux-de-Fonds in der Schweiz gewesen sein. Auf dem Zifferblatt steht 5896 und es gibt ein Schweizer Patent von Jaquet & Girard mit der Nummer 25896.
Es stammt von 1903 und beschäftigt sich mit einem Mechanismus für Chronometer-Hemmungen, der in diesem Werk interessanterweise aber gar nicht vorhanden ist.
Nur ein Zufall? Eher nicht, denn in einem Artikel “Die Schweizer Chronometer-Wippe und das Patent Nr. 25896” der Ausgabe 4/89 der Zeitschrift Alte Uhren und moderne Zeitmessung wird exakt das hier vorgestellte Werk abgebildet und in Zusammenhang mit dem Patent 25896 gebracht. Sogar die Beschriftung “Chronometre” ist identisch.
Das Werk hat 15 Lagersteine und hübsche, verschraubte Chatons. Ursprünglich war wohl eine Schwanenhalsfeinregulierung am Unruhkloben angebracht. Von dieser sind leider nur noch die Bohrlöcher zu finden. Und auch das Federhaus wurde seiner Malteserkreuzstellung beraubt.
So ähmlich sollte es eigentlich aussehen:
Das Werk verfügt über eine Bimetall-Schraubenunruh mit Breguet-Spirale, wie sie auch häufig bei der Ankerhemmung zum Einsatz kommt.
Schauen wir uns also die Chronometer-Hemmung näher an. Im folgenden Bild ist die Unruh entfernt:
Wie bei der Ankerhemmung gibt es ein Gangrad (G), das das Sekundenrad (S) antreibt. Einen Anker sucht man hier vergeblich, dafür gibt es sogenannte Wippe (oben im Bild grün markiert, unten im Bild rot). Neben der Variante mit einer Wippe gibt es auch eine Chronometerhemmung mit Feder. Diesen Unterschied lassen wir hier aber mal beiseite.
Ziel der Entwicklung war es, eine möglichst freie Schwingung der Unruh zu ermöglichen. Frei bedeutet hier, dass die Unruh während eines Großteils der Schwingung keine Verbindung zum Räderwerk haben soll, um die Schwingung möglichst wenig zu stören. Dies wiederum kommt der Ganggenauigkeit zugute. Bei der modernen Ankerhemmung ist dies ebenfalls der Fall, aber Zylinderhemmung dagegen nicht.
Ganz frei kann die Schwingung natürlich nicht sein, da es ja irgendwann im Laufe einer Schwingung eine Energieübertragung zwischen dem Räderwerk, genauer dem Gangrad, und der Unruh geben muss, damit die Unruh nach einigen Schwingungen nicht stehen bleibt.
Hier kommt die Wippe ins Spiel, die genau dies ermöglicht. Bei hochwertigen Werken ist die dünne Blattfeder der Wippe übrigens aus Gold.
Anstatt nun zu versuchen, in zahlreichen Worten dieses Zusammenspiel zu beschreiben, verweise ich auf die tolle Animation der Chronometerhemmung hier: http://www.schmuckunduhren.de/uhren/ueber-uhren/chronometerhemmung/
Unbeding ansehen!
Bei der Ankerhemmung erfolgt ja bekanntlich bei jeder Halbschwingung der Unruh eine Auslösung, die zur Folge hat, dass das Gangrad um einen Zahn weiterschaltet. Dies wiederum führt zum bekannten “Tick-Tack“-Geräusch einer Uhr mit Ankerhemmung. Ganz anders bei der Chronometerhemmung: nur jede Vollschwingung der Unruh schaltet das Gangrad um einen Zahn weiter. Diese Hemmung macht also nicht Tick-Tack, sondern Tick-Tick. Das ist hier im Video sehr schön zu hören:
Bei diesem Werk sind es übrigens 9.000 Vollschwingungen pro Stunde, also 2,5 Hertz. Der Sekundenzeiger “hüpft” daher immer in Schritten von 0,4 Sekunden weiter.
Ursprünglich kam die Chronometer-Hemmung nicht primär in Taschenuhren zum Einsatz, sondern in sogenannten Marine-Chronometern. Eine möglichst ganggenaue Uhr war essentielle Voraussetzung zur Bestimmung des geographischen Längengrades auf See. Und dieser wiederum war unentbehrlich zur Ortsbestimmung.
Die Chronometer-Hemmung hat sich in Taschenuhren im Gegensatz zur Ankerhemmung nie durchgesetzt. Dafür gibt es drei gute Gründe:
- Sie ist aufwendiger herzustellen als die später entwickelte Schweizer Ankerhemmung
- Sie ist sehr stoßempfindlich. Die Unruhe läuft nicht von selbst wieder an, wenn sie durch einen Stoß angehalten wurde. Die Unruh muss also abgeschubst bzw. angeschüttelt werden.
- Ein Stoß kann auch dazu führen, dass die Unruh anfängt zu „galoppieren“. Sie lässt dann bei einer Schwingung zwei Zähne des Gangrades statt einem passieren.
Und dennoch versuchen sich auch moderne Uhrmacher immer mal wieder an einer Neuinterpretation der Chronometerhemmung. So etwa die Firma Urban Jürgensen aus Dänemark, die 2011 eine Uhr mit ihrem Werk UJS-P8 auf den Markt brachte, das mit einer Chronometerhemmung arbeitet.
Von diesem Werk gibt es auch einer sehr schönes Youtube-Video: [print_link]