Hallo zusammen,
im Juni 2015 bin ich über eine Kickstarter-Kampagne mit dem Titel Mechanical Swiss watch with new movement (by horage) gestolpert.
Nun ja, Uhren gibt es auf Kickstarter viele, aber „new movement“ hörte sich sehr spannend an.
Also mal reingelesen:
Aha, ein paar Freaks, die innerhalb von sieben Jahren ein eigenes mechanisches Werk in der Schweiz entwickelt haben. Und dies von Anfang an mit dem Ziel, die Produktion zu industrialisieren und ein Werk zu entwickeln, das als Basis für viele Varianten dienen kann.
Hier gab es nun also eine Uhr, die mit diesem Wunderwerk ausgestattet war, das hier in einer ersten Kleinserie von 120 Stück produziert werden sollte.
Wer sich mehr für die Uhr selbst als für das Werk interessiert, wird im Uhrforum fündig. Dort habe ich schon einmal ausführlich darüber berichtet: http://uhrforum.de/accurat-swiss-jonas-k1-t232410
Schauen wir uns also die Rückseite und das Werk an:
Die Deko auf dem Rotor nennt sich Widmannstätten-Struktur (siehe Wikipedia).
Ein paar Daten zum Werk:
- Automatik, einseitig aufziehend
- Durchmesser 11 1/2 Linien
- Höhe 4,95 mm
- 25 Steine
- Ankerpaletten und Spirale aus Silizium mit Diamant-Nanobeschichtung
- 25.200 A/h (sehr ungewöhnlich)
- Rotor aus Wolfram
- Großdatum bei 3 Uhr
- Kleine Sekunde bei 9 Uhr
Das Kaliber K1 kann in 18 verschiedenen Varianten gebaut werden, u. a. mit einer Gangreserve:
Das hier verbaute Werk ist also die Variante K1-15.
So sieht es aus, wenn man den mit sechs Schrauben gesicherten Boden öffnet:
Etwas näher:
Falls dir die Bilder bekannt vorkommen: ja, es ist das Werk aus meinem Banner oben auf der Seite.
Der Rotor lässt sich nach Entfernen der drei kleinen Schrauben einfach abnehmen:
Die große Brücke ist keineswegs die Räderwerkbrücke, sondern die Automatikbrücke:
Das erste Rad auf der Unterseite der Automatikbrücke (rechts im Bild) ist ein Klinkenrad, das zum einen bewirkt, dass die Automatik nur einseitig aufzieht, zum anderen entkoppelt es den Handaufzug von der Automatik.
Unter der Automatikbrücke ist dann die recht kleine Räderwerkbrücke (R) zu sehen. Interessant ist der Kraftfluss bei diesem Werk, da es zwei direkte Kraftflüsse gibt. Zum einen treibt das Federhaus direkt ein zentrales Minutentrieb an (im Bild nicht zu sehen) auf dem zifferblattseitig das Minutenrohr sitzt, ähnlich wie bei einigen Rolex-Werken. Zum anderen läuft der Kraftfluss vom Federhaus über das dezentrale Großbodenrad (G), das Kleinbodenrad (K) und das zentrale Sekundenrad (ZS) zum Ankerrad. Das Werk hat also eine zentrale Sekunde, die hier aber nicht als solche genutzt wird.
Das Kleinbodenrad treibt dann indirekt die kleine Sekunde (KS) an, die als komplettes Modul von der Zifferblattseite eingefügt wird:
Nach Entfernen der Unruh ist dann der Blick auf Anker und Ankerrad frei:Nun noch ein Blick unter die Federhausbrücke:
Das Gesperr befindet sich hier also auf der Unterseite der Federhausbrücke. Rot markiert ist der kleine Hebel, der für den Sekundenstopp sorgt, indem er gegen den Unruhreif drückt.
Leider endet die Reise hier. Eigentlich wollte ich auch die Zifferblattseite des Werkes zerlegen. Da sich der kleine Sekundenzeiger aber auch mit leichter Gewalt nicht abziehen lassen wollte, habe ich es gelassen, um nicht das Zeigerfutter abzureißen.
Das für mich sensationelle an diese Werk ist, dass es eine kleine Gruppe von Freaks mit sehr begrenzten finanziellen Möglichkeiten geschafft hat, selbst ein komplettes Automatik-Werk zu konstruieren. Und das so, dass es künftig auch in industriellem Maßstab gefertigt werden kann. Gleichzeitig ist es eine Plattform für 18 verschiedene Varianten, das bietet viele Möglichkeiten bei minimalem Änderungsaufwand in der Produktion. Bisher scheint es auch so zu sein, dass dieses Werk nicht exklusiv von Horage/Accurat Swiss benutzt werden wird, sondern auch an andere Uhrenhersteller geliefert werden soll.
Wenn diese Firma es schafft, das Werk in größeren Stückzahlen zu produzieren, haben wir neben der ETA (liefert irgendwann nichts mehr an Firmen außerhalb der Swatch Group), Sellita und Soprod einen weiteren Schweizer Werklieferanten, der nicht nur chinesische Werke aufpimpt. Ob das klappt, wird die Zukunft zeigen. Zu wünschen wäre es ihnen auf jeden Fall. Und als Kunde freue ich mich, nicht in jeder Uhr dasselbe Werk zu zu sehen.
Update 22.02.2016:
Es gibt eine neue Kickstarter-Kampagne des Teams. Eine etwas andere Uhr, aber dasselbe Werk: https://www.kickstarter.com/projects/1099329081/authentic-swiss-watch-the-day-after-kickstarter?ref=newest
Hallo, sehr interessant! Mich hätte interessiert, wie die Spirale in Nahaufnahme aussieht und wie sie an Unruh und Kloben befestigt ist. Gibt’s da Bilder?
Hallo Timm,
ich habe leider keines im Fundus, sorry.
Gruß
Andreas