Bei einem mechanischen Uhrwerk ist eine springende Sekunde, auch blitzende Sekunde genannt, also etwas Besonderes, eine sogenannte Komplikation! Im Französischen heißt sie übrigens Seconde Morte, also tote Sekunde, im Englischen analog Dead-Beat Seconds. „Tot“ ist sie natürlich nur zwischen zwei Sekundensprüngen!
Ich stelle euch hier ein etwa 140 Jahre altes Taschenuhrwerk mit springender Sekunde vor. Es hat einem Durchmesser von 43 mm und steckte vermutlich einmal in einem Goldgehäuse, das eingeschmolzen wurde. Es besitzt bereits eine damals moderne Schweizer Ankerhemmung mit Bimetall-Schraubenunruh, hat aber noch einen alten Schlüsselaufzug. Den Hersteller dieses Werkes konnte ich leider nicht ermitteln.
Sofort fallen die zwei Federhäuser auf. Das größere dient dem normalen Räderwerk zur Anzeige der Stunden und Minuten, das kleinere ist für die springende Sekunde zuständig. Auf der Zifferblattseite sieht man, dass beide Federhäuser Malteserkreuz-Stellungen haben bzw. hatten. Diese dient dazu, dass Aufziehen und Ablaufen der Zugfeder so zu beschränken, dass nur der optimale mittlere Teil des Drehmoments der Feder genutzt wird.
Leider wurde die Malteserkreuz-Stellung bei alten Werken häufig entfernt. Zum einen, weil nach Ersatz einer Feder durch eine modernere deren Drehmoment in den Randbereichen viel besser war. Zum anderen, weil sich dadurch eine größere Gangreserve erreichen ließ. Und manchmal vielleicht auch, weil ein Bastler mit dem nötigen Vorspannen der Feder nicht klarkam.
Erfunden wurde die hier gleich vorgestellte Umsetzung einer springenden Sekunde bereits 1776 vom Schweizer Jean-Moïse Pouzait (1743-1793). 1786 folgte die Entwicklung einer eigenen Ankerhemmung, der sogenannten Pouzait-Hemmung. 1788 wurde er schließlich Direktor der ersten Uhrmacherschule in Genf.
Schauen wir zuerst mal auf der Brückenseite, wie der Kraftfluss im Werk verläuft:
Grün eingezeichnet ist der Kraftfluss im normalen Räderwerk des Werkes, vom Federhaus bis zur Unruh. Blau der Kraftfluss der Räder der springenden Sekunde, die sich im Zentrum des Werkes befindet. Rot markiert ist das Ankerrad, das zusammen mit dem Anker die Hemmung des Räderwerkes bildet. Und genau dort setzt auch die Hemmung der springenden Sekunde an. Ohne diese würde sich der zentrale Sekundenzeiger aufgrund der Spannung der Feder im kleinen Federhaus sehr schnell im Kreis drehen. Die Hemmung der springenden Sekunde muss also dafür sorgen, dass der Sekundenzeiger nur jede ganze Sekunde einen Sprung machen kann.
Wie funktioniert also die Hemmung der springenden Sekunde? Das Geheimnis liegt unter einer Brücke auf der Zifferblattseite.
Diese Teile hier interessieren uns:
Im blauen Kreis sieht man das Trieb des Ankerrades. Es greift in das Sekundenrad des normalen Räderwerkes ein, das in diesem Fall aber keinen Sekundenzeiger trägt! Im blauen Oval befindet sich ein kleiner Hebelarm, der ein wenig wie eine Peitsche aussieht. So sieht er von der Seite aus:
Er kann sich so lange nach recht im Kreis drehen, bis er am Trieb des Ankerrades hängen bleibt. Nach genau einer Sekunde hat sich das Trieb des Ankerrades um einen Zahn weitergedreht und gibt den kleinen Hebelarm wieder frei. Dieser dreht sich wieder um 360 ° im Kreis und gibt währenddessen die Räder frei, die dafür sorgen, dass der Sekundenzeiger um genau eine Sekundenposition weiterspringt. Das folgende Bild zeigt das nochmals schematisch:
Hier sieht man den kleinen Hebelarm, wie er am Trieb des Ankerrades anliegt, die springende Sekunde ist in diesem Moment also gehemmt!
Das Trieb am kleinen Hebelarm greift an der im nächsten Bild blau markierten Stelle in der Räderwerk der springenden Sekunde ein:
Wieso dreht sich das Ankerrad eigentlich genau so, dass der kleine Hebelarm exakt jede Sekunde freigegeben wird?
Die Unruh des Werkes hat 18.000 A/h (Halbschwingungen pro Stunde), das entspricht 5 Halbschwingungen pro Sekunde. Jede Halbschwingung dreht das Ankerrad um einen halben Zahn weiter. Pro Sekunde dreht sich das Ankerrad also um 2,5 Zähne weiter. Das Ankerrad hat 15 Zähne, sein Trieb, in das der kleine Hebelarm eingreift, hat 6 Zähne. Die Drehung von 2,5 Zähnen des Ankerrades entspricht also der Drehung eines Zahns seines Triebs (15 / 2,5 = 6). Folglich schaltet also das Trieb des Ankerrades exakt jede Sekunde um einen Zahn weiter.
Das weiter oben im Bild grün markierte Teil dient dazu, bei Bedarf die springende Sekunde durch einen Hebel seitlich am Werk anzuhalten. Der kleine Hebelarm bleibt dann einfach ein diesem Teil hängen. In der schematischen Darstellung entspricht das der gestrichelten Darstellung. Das normale Räderwerk zur Zeitanzeige von Stunde und Minute kann also auch ohne springende Sekunde arbeiten. Umgekehrt benötigt aber die springende Sekunde auch ein laufendes Räderwerk, da beide Hemmungen ja in das Ankerrad eingreifen.
Zum Schluss noch ein Bild, das das zerlegte Werk zeigt. Da kommen doch einige Teile zusammen:
Der kleine Hebelarm, der die springende Sekunde hemmt, hat mich übrigens beim Zusammenbau des Werkes nach der Reinigung etwa zwei Stunden gekostet. Seine Gewichtsverteilung ist so ungünstig, dass es kaum möglich ist, ihn auf der einen Seite in eines seiner Lager zu stecken und auf der anderen Seite die Brücke bzw. den Kloben aufzusetzen. Beim nächsten Mal würde ich die Brücke des Räderwerkes der springenden Sekunde und den Kloben des Hebelarms auf der Zifferblattseite unzerlegt lassen.
Ganz ausgestorben ist die springende Sekunde auch heute nicht. Man findet sie z. B. im Modell Richard Lange Springende Sekunde von A. Lange & Söhne:
Von A. Lange gibt es auch eine sehr schöne Animation dazu:
Mit viel Glück findet man auch eine Vintage-Uhr mit dem berühmten Chézard 115/116/117 oder 7400/7401/7402 als Werk, das ebenfalls über eine springende Sekunde verfügt.
Vielen Dank, wieder eine sehr interessante Darstellung eines feinmechanischen Phänomens.