Eine retrograde, also rückläufige Anzeige bei einer Uhr, ist eine Komplikation, bei der sich ein Zeiger, etwa für die Zeit oder das Datum, über ein Kreissegment bewegt. Anstatt sich ganz im Kreis zu drehen, springt der Zeiger ruckartig auf die Ausgangsposition zurück, sobald er das Ende der Segmentskala erreicht hat.
Braucht man das und ist es nützlich? Nicht unbedingt! Warum macht man es dann? Weil es möglich ist!
Und manchmal ist es auch ganz nett anzusehen. Was auf die oben gezeigte Uhr, deren Werk wir uns gleich näher ansehen werden, nur sehr bedingt zutrifft. Natürlich gibt es sehr viel höherwertige Uhren mit retrograden Anzeigen, z. B. die Maurice Lacroix Masterpiece Moonphase Retrograde.
Nicht verwechseln sollte man die retrograde Anzeige mit einer retrograden Uhr. Bei dieser läuft die Zeitanzeige rückwärts, also gegen den Uhrzeigersinn. Dies sind häufig Spaßuhren, aber auch bei hebräisch beschrifteten Uhren macht es aufgrund der anderen Leserichtung des Hebräischen Sinn.
Und natürlich gibt es auch andere Anzeigen, deren Zeiger nur ein Kreissegment überstreicht, die aber nicht retrograd sind, da sie nicht ruckartig in die Ausgangsposition zurückspringen. Die Gangreserveanzeige ist ein Beispiel dafür. Sie bewegt sich beim Aufziehen langsam in die eine Richtung und beim Ablaufen des Werkes langsam wieder zurück.
Bei den meisten retrograden Anzeigen steht diese nicht im Mittelpunkt, sondern ergänzt lediglich eine klassische Zeitanzeige. Anders bei der von 1903 bis 1908 gebauten Sector Watch des Schweizer Herstellers Record Watch. Sie zeigt sowohl die Stunden als auch die Minuten retrograd an. Heute ein bei Sammlern begehrtes Stück Uhrengeschichte!
Hier soll es nun um das Werk der ganz oben gezeigten Uhr gehen, ein Seagull ST2504, auch TY2504 genannt. Fun Fact am Rande: die Firma heißt Sea-Gull mit Bindestrich, die Werke aber Seagull.
Der Mechanismus für die zwei retrograden Anzeigen befindet sich auf der Zifferblattseite unter zwei getrennten Abdeckplatten. Oben im Bild die retrograde Tagesanzeige, unten das Datum.
Schauen wir uns zuerst die retrograde Anzeige des Tages näher an:
Das mit 1 markierte Kunststoffteil sorgt dafür, dass das Rad 2 alle 24 Stunden um einen Zahn weitergeschaltet wird, analog zu einem Datum-Mitnehmerrad bei der klassischen Datumschaltung. Mit 2 fest verbunden ist die Kurvenscheibe 3. Eigentlich sind es zwei Kurvenscheiben, jeweils eine für sieben Tage. Das Rad 2 hat nämlich 14 Zähne, nicht nur sieben. Es benötigt also zwei Wochen für eine volle Umdrehung.
Jedes Mal, wenn Teil 1 das Rad 2 weiterschaltet, dreht sich die Kurvenscheibe 3 etwas weiter nach rechts. Damit rutscht die Spitze des Teiles 4 ein wenig weiter nach oben. Die Zähne an der oberen Kante von 4 drehen damit das kleine Rad 5 etwas weiter nach rechts. In der Mitte dieses Rades sitzt der Zeiger für den Wochentag, der dabei auf dem Zifferblatt ein Stück nach oben rückt.
Am Sonntag befindet sich Teil 4 am höchsten Punkt der Kurvenscheibe, das Rad 5 hat sich also den maximal möglichen Weg nach rechts bewegt. Entsprechend ist der Zeiger auf dem Zifferblatt ebenfalls an seinem höchsten Punkt angelangt. Beim Umschalten auf den Montag fällt Teil 4 an der Kante der Kurvenscheibe schlagartig nach unten, da eine kleine Feder das Teil 4 nach unten drückt. Die Zähne an 4 drehen dann gleichzeitig das Rad 5 wieder nach links zurück, der Zeiger für den Tag springt damit wieder auf den Montag zurück.
Die Klinke 6 im Bild oben hält lediglich das Rad 2 in der jeweiligen Position. Und 7 dient zur Schnellverstellung des Tages über einen Drücker bei 4 Uhr am Uhrengehäuse.
Die retrograde Anzeige für das Datum funktioniert nach demselben Prinzip:
Das Rad 2 hat hier nicht 14 Zähne, sondern 31. Entsprechend besteht 3 nur aus einer Kurvenscheibe. Das Rad 5 trägt auch hier den Zeiger, besitzt aber zusätzlich eine sehr feine äußere Verzahnung, in die die Klinke 6a eingreift. Sie dient lediglich dazu, die Position des Datumzeigers zu stabilisieren. Ein Drücker bei 8 Uhr am Uhrengehäuse dient der Schnellverstellung des Datums über das Teil 7.
Das war es auch schon zur retrograden Anzeige dieses Werkes. Eigentlich ist diese technisch recht simpel konstruiert.
Und noch eine Uhr mit Retrogader Stunden und Minuten Anzeige:
http://www.hknebel.org/Uhren/html/tacho.html
Den Namen „Tacho“ habe ich erfunden, da ich keine Kennzeichnungen finden konnte.
Moin, eine Ergänzung zum Thema Retrogade Anzeige und „weil man es kann“: Eine Carucci mit drei Retrogaden Sekundenanzeigen, 1-20, 20-40, 40-60. Zu finden hier:
http://www.hknebel.org/Uhren/html/carucci.html