Albert Henry Potter, ein Name, der passionierte Uhrensammler aufhorchen lässt. Gilt er doch als einer der besten Uhrmacher seiner Zeit. Ein Universalgenie der Uhrmacherei, der nicht nur Uhren von höchster Qualität herstellte, sondern auch versuchte, günstige Uhren für jedermann herzustellen. Um letztere soll es hier gehen, um Taschenuhren der Marke Charmilles.

Ein wenig Historie
Zu Albert H. Potter finden sich online reichlich Informationen, daher präsentiere ich hier nur eine Kurzversion davon. Eine sehr ausführliche Darstellung hat Hans Weil zusammengestellt: Albert H. Potter

Potter wurde am 13.07.1836 in den USA in Mechanicville im Bundesstaat New York geboren. Von 1952 bis 1955 absolvierte er die Uhrmacherlehre bei Wood and Foley in Albany, etwa 20 Meilen südlich von Mechanicville. Danach ging er nach New York City und eröffnete dort eine Uhrenwerkstatt. Bald fing er auch an, Taschenuhren herzustellen und zu verkaufen. Im Lauf von etwa sechs Jahren sollen in seiner Werkstatt etwa 35 Taschenuhren im amerikanischen Stil hergestellt und zu recht hohen Preisen verkauf worden sein.
1861 zog Potter nach Kuba um, um in Havanna ein Uhrengeschäft zu eröffnen und damit dem Bürgerkrieg (1861 – 65) in den USA zu entgehen. Vermutlich 1867 ging Potter wieder zurück in die USA und ließ sich in Williamsburg nieder. Er hatte bereits in Havanna begonnen, sich mit Hemmungen zu beschäftigen, dies vertiefte er nun in Williamsburg. Diese Arbeit führte zum ersten von Patent von Potter, dem Patent US73646 von 1868 für eine Chronometer-Hemmung. Es folgenden fünfzehn weitere Patente, u. a. für verschiedene Hemmungen und eine Kompensations-Unruh.

Nach weiteren Zwischenstationen in Minneapolis, Milwaukee und Chicago wanderte Potter 1876 in die Schweiz und ließ sich in Genf nieder. Als zugezogener Uhrmacher wurde Potter anfangs von seinen Genfer Kollegen sicher argwöhnisch betrachtet. Aufgrund seiner hervorragenden Arbeiten schien er aber sehr bald Anerkennung zu finden. So war er von 1878 bis 1889 Mitglied der Commission de Surveillance de l’École d’Horlogerie in Genf, also einer Art Aufsichtsrat der Uhrmacherschule.
In Genf lebte Potter bis zu seinem Tod 1908. Allerdings hatte er bereits Anfang der 1890er seinen Betrieb aus gesundheitlichen Gründen eingestellt. Leider ging es ihm auch wirtschaftlich schlecht, was dem seelischen Wohlbefinden sicher nicht gut tat.
Das folgende Bild zeigt an einem Beispiel die Qualität und Schönheit der Taschenuhrwerke von Potter:

Die Charmilles-Uhren
Einige Patente verkaufte Potter an andere Firmen. Dazu gehörten auch Patente für die späteren Charmilles Uhren, die er zunächst an die New Haven Watch Company verkaufte. Diese wurde allerdings von der Trenton Watch Company übernommen und dann aufgelöst. Beide Firmen haben allerdings nie Uhren auf der Basis der Potter-Patente hergestellt. So konnte Potter die Rechte am Schweizer Patent CH3647 vom 16.06.1891 an die Genfer Firma J. Badollet & Cie verkaufen.


Badollet stellte schließlich die Taschenuhren mit dem Namen Charmilles her. Benannt wurden sie nach ihrem Herstellungsort Charmilles, ein Stadtteil von Genf. Von den Charmilles-Uhren sollen 16.000 Stück hergestellt und zum Stückpreis von 3 bis 4 US-Dollar verkauft worden sein. Obwohl sie recht günstig waren, waren die Uhren kein großer wirtschaftlicher Erfolg, da es mittlerweile in den USA die noch billigeren Dollar Watches für nur einen Dollar gab. Da sie so günstig waren, wurde ein Großteil der Charmilles-Uhren vermutlich einfach entsorgt, wenn sie nicht mehr funktionierten. Heute werden sie von Sammlern geschätzt!

So sieht das Werk der Charmilles nach dem Entfernen des aufgedrückten Bodendeckels aus:

Interessant ist die Beschriftung der Platine:
Charmilles
GENÈVE
BREVET No. 3647

Es gibt auch Charmilles-Werke mit der Aufschrift
CHARMILLES GENEVA
PATENT No 5056

Das britische Patent 5056 von 1887 beschreibt ein Single Tooth Escapement von Potter. Eine solche Hemmung wird aber bei den Charmilles-Uhren gar nicht eingesetzt!
Badollet ließ sich übrigens im Juli 1891, also nur wenige Tage nach Erteilung des Patentes CH3647 an Potter, das typische Brückendesign der Charmilles-Uhren im Schweizerischen Handelsamtsblatt als Modell Nr. 2 registrieren.

Was diese Uhrwerke so besonders macht, erkennt man, wenn man sie zerlegt. Vorher aber unbedingt die Zugfeder abspannen. Die Sperrklinke findet sich hier:

Schaut man das Bild der Brückenseite oben etwas genauer an, sieht man keine Schrauben, die es erlauben würden, das Werk aus dem Gehäuse zu entfernen. Zu sehen sind abnehmbare Kloben für die Unruh, das Ankerrad und den Anker, aber keine Schrauben für die Platine, unter der sich die andren Räder und das Federhaus befinden.
Gut, schauen wir mal auf die Zifferblattseite:

Hier gibt es Schrauben, also lässt sich die Platine auf der Zifferblattseite entfernen:

Das Federhaus wurde hier schon entfernt, rechts oben ist das darunter liegende Sperrrad zu sehen. Das Räderwerk ist ganz klassisch aufgebaut, der Kraftfluss läuft also vom Federhaus über das zentrale Minutenrad, das Kleinbodenrad, das Sekundenrad und das Ankerrad zum Anker und von dort zur Unruh.
Entfernt man schließlich alle Teile – den Unruhkloben mit Unruh natürlich von der anderen Seite – bleibt das hier übrig:

Das Gehäuse und die Basisplatine bestehen also aus einem Stück! Die Krone ist fest im Gehäuse integriert. Diese Bauweise dürfte ein wesentlicher Faktor zur günstigen Produktion der Charmilles-Uhren gewesen sein. Auch bei den Steinlagern wurde natürlich gespart, sodass das Werk mit nur sieben Steinen auskommen muss. Der Gehäuse- und damit auch der Werkdurchmesser liegt übrigens bei 48,5 mm, also 21 1/2´´´ (französische Linien).