Das Chézard 116 mit springender Sekunde

Vor einiger Zeit habe ich ein Taschenuhrwerk mit springender Sekunde vorgestellt. Heute geht es um ein Uhrwerk für Armbanduhren mit dieser Komplikation, um das Chézard 116. Eine Armbanduhr mit diesem Werk kann ich leider nicht vorstellen, aber folgende Schwesternuhr, die an der Arbeitskleidung mit einer Sicherheitsnadel befestigt wird, eine Dugena Saltofix.

Dugena Saltofix mit Chézard 116

Unter der Bezeichnung Dugena Saltofix findet man normalerweise Herrenarmbanduhren mit diesem Werk. Als Schwesternuhr habe ich die Dugena Saltofix vorher noch nie gesehen.

Das folgende Video zeigt die kleine Uhr mit einem Durchmesser von 29,6 mm in Aktion:

Die rote Plombe aus Kunststoff trägt auf der einen Seite den Markennamen Dugena und auf der anderen Seite den damaligen Preis von 118 DM. Die Uhr stammt vermutlich aus der Zeit zwischen 1955 und 1960.

Bevor wir uns der Werk ansehen, noch ein paar Worte zum Schweizer Hersteller Chézard, über den nur wenig bekannt ist.

1929 gründete David Mader im Schweizer Ort Hauts Geneveys ein Atelier, das wenige Monate später nach Chézard verlegt wurde. Dort wurden zunächst Steinfassungen hergestellt und ab 1931 Rohwerke (Ebauches). Unter dem Firmennamen David Mader & Cie wurden kleine Werke für Damenuhren produziert. 1937 wurde die Firma unter dem Namen Fabrique d’Ebauches de Chézard SA der Ebauches SA, einem Zusammenschluss zahlreicher Schweizer Werkhersteller, angegliedert. 1950 hatte die Firma 62 Mitarbeiter und stellte jährlich 220.000 Rohwerke her. Ab 1951 erfolgt die Entwicklung der Werke mit springender Sekunde, auch Seconde Morte oder Dead Beat Seconds genannt. Verkauft wurden diese ab etwa 1953 und von verschiedenen Herstellern in ihre Uhren verbaut. Diese Werke sind eher selten zu finden und bei Sammlern begehrt. 1969 wurde die Firma schließlich aufgelöst.

Chézard-Logo

Schauen wir uns nun das Chézard 116 näher an. Es trägt unter der Unruh das Chézard-Logo und die Nummer 116. Und auf dem Sperrrad die Dugena-Kaliberbezeichnung 778. Soweit keine Überraschung. Unter der Unruh findet sich aber auch noch das Logo des Werkherstellers FHF (Fabrique d’Horlogerie de Fontainemelon)! Hat die FHF das Basiswerk geliefert oder war sie an der Herstellung des ganzen Werkes beteiligt? Ich weiß es leider nicht. Die FHF war auf jeden Fall sehr viel größer als Chézard und ebenfalls ein Unternehmen der Ebauches SA.

Chézard 116 = Dugena 778

Zunächst die technischen Daten des Chézard 116:

  • Stunde, Minute, springende Zentralsekunde mit Stoppmöglichkeit durch Drücken der Krone
  • Durchmesser 11 1/2´´´ (französische Linien)
  • Handaufzug
  • Schweizer Ankerhemmung
  • 21 Steine
  • Incabloc-Stoßsicherung
  • Monometallische Schraubenunruh
  • Schlagzahl 18.000 A/h
  • Weitere Details und Infos zur ganzen Werkfamilie siehe Chézard 116 = Dugena 778 – Watch Movements Archive

Das folgende Video zeigt das Werk in Bewegung:

Wie funktioniert die springende Sekunde beim Chézard 116?
Um dies zu verstehen, entfernen wir zunächst die Brücke, unter der sich alle dafür relevanten Teile befinden:

Im Zentrum des Werkes befindet sich das springende Sekundenrad. Links davon liegen die Teile, die für das Springen sorgen:

Auffällig sind das goldfarben Rad mit den Löchern und einer Spirale sowie das sechsarmige Bauteil daneben. Das graue Rad zwischen dem Sekundenrad und dem Rad mit der Feder ist nur ein Zwischenrad ohne weitere Funktion.
Unter dem sechsarmigen Bauteil ist ein kleines, sternförmiges Rad mit sechs Zacken zu sehen:

Das sternförmige Rad ist auf das unter der Brücke liegende Ankerrad aufgepresst, dreht sich also mit diesem mit. Analog ist der Kern des Rades mit der Feder auf das Sekundenrad aufgepresst. Bei diesem Werk trägt das Sekundenrad allerdings keinen (kleinen) Sekundenzeiger. Die Verbindung zwischen diesen beiden Rädern erfolgt über das Bauteil mit den sechs Armen. Auf dessen Unterseite befinden sich ein Trieb, das in das Rad mit der Feder eingreift, und an jedem Arm ein kleiner Stift.

Das Trieb blockiert zunächst das Rad mit der Feder und damit über das oben erwähnte Zwischenrad auch das zentrale Sekundenrad. Das sich drehende Ankerrad sorgt über die sechs Zacken dafür, dass sich nach jeweils genau einer Sekunde das Bauteil mit den sechs Armen um einen Arm weiterdreht. Dessen Trieb dreht das Rad mit der Feder um einen Zahn weiter. Damit dreht sich über das Zwischenrad auch das zentrale Sekundenrad um einen Zahn weiter. Der Sekundenzeiger springt daher um eine Sekunde weiter.
Im Bild oben sieht man auch eine kleine Feder, die rechts oben in das zentrale Sekundenrad eingreift. Diese fixiert das Rad bis zum nächsten Sekundensprung.

Das kling alles ganz einfach, das ist es aber nicht!
Das dezentrale Sekundenrad (für die kleine Sekunde) dreht sich ja kontinuierlich weiter, wieso dreht sich das Rad mit der Feder also nicht auch kontinuierlich? Weil dieses Rad zwei raffinierte Geheimnisse birgt!

Das erste Geheimnis besteht darin, dass das Rad und die Feder in deren Zentrum nicht miteinander verbunden sind, sich also unabhängig voneinander drehen können. Bis zum nächsten Sekundensprung zieht das sich drehende dezentrale Sekundenrad nur die Feder ein wenig auf. Das Rad bewegt sich nicht, da es vom Trieb des sechsarmigen Bauteils blockiert wird. Gibt dieses Trieb das Rad zum nächsten Sekundensprung frei, dreht sich dieses um einen Zahn weiter. Die leicht gespannte Feder unterstützt durch ihre Verbindung zum äußeren Rand des Rades den Drehvorgang und die Feder entspannt sich wieder.

Das zweite Geheimnis kommt zum Einsatz, wenn man eine spezielle Funktion dieses Werkes nutzt. Dieses verfügt nämlich über zwei verschiedene Varianten eines Sekundenstopps. Die erste Variante besteht darin, die Krone ganz herauszuziehen. Dabei stoppt das ganze Werk und die Zeiger können so sekundengenau gestellt werden. Die zweite Variante besteht darin, auf die Krone zu drücken. Dies ist möglich, da sie nicht ganz am Gehäuse anliegt. Dabei wird ein Hebel bewegt, der gegen die Feder drückt, die das zentrale Sekundenrad in Position hält. Dadurch wird das Sekundenrad gestoppt, der Rest des Werkes läuft aber weiter! Der Sekundenzeiger kann so z. B. bei der 12 gestoppt werden, um anschließend die Anzahl der Pulsschläge über 30 oder 60 Sekunden zu messen.

Was hat das mit dem Rad mit der Feder zu tun?
Während das zentrale Sekundenrad durch das Drücken der Krone eine Weile blockiert wird, dreht sich die Feder im Rad mit den Löchern immer weiter auf. Irgendwann sollte sie ganz aufgezogen sein, sodass sie sich nicht mehr weiter drehen kann. Da ihr Kern auf dem dezentralen Sekundenrad aufgepresst ist, sollte sich dieses auch nicht mehr bewegen können. Das Werk müsste also stehen bleiben! Das dies nicht der Fall, liegt daran, dass die Feder auch mit dem Rand des Rades nicht fest verbunden ist. Vielmehr drückt die äußere Windung lediglich so fest gegen die Wand des Randes, dass sie das Rad beim Sekundensprung mitnehmen kann. Bei der Stoppfunktion rutscht sie irgendwann einfach durch und die Feder entspannt sich wieder. So kann die Krone auch längere Zeit gedrückt werden, ohne dass das Werk komplett stehen bleibt. Das Prinzip ist dasselbe wie bei der Rutschkupplung der Aufzugsfeder eines Automatikwerkes.

Die Idee mit der Feder geht möglicherweise auf das Schweizer Patent CH272327 mit dem Titel Mécanisme de seconde morte pour mouvement d’horlogerie (Mechanismus der toten Sekunde für ein Uhrwerk) zurück. Dieses wurde 1948 von der Ebauches SA eingereicht und 1950 erteilt:

Titel des Patentes CH272327
Ausschnitt aus dem Patent CH272327

Ein Teil der beim Chézard 116 verwendeten Bauteile der springenden Sekunde werden in diesem Patent allerdings nicht aufgeführt.

Patente gleichen Inhalts wurden kurz darauf auch in Deutschland (DE818477) und in den USA (US2580597) erteilt. Bei diesen zwei Patenten ist als Erfinder Fritz-André Robert-Charrue genannt. Dieser war für die Ebauches SA tätig, ob er aber eine direkte Beziehung zur Fabrique d’Ebauches de Chézard SA hatte, konnte ich nicht herausfinden.

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