Bevor wir mit dem Regulieren loslegen, müssen wir ein paar wichtige Begriffe definieren und gegeneinander abgrenzen:
- Der Gang (englisch: rate), umgangssprachlich auch Ganggenauigkeit, eines Uhrwerkes bezeichnet eine zu- oder abnehmende Abweichung der angezeigten Uhrzeit von der realen Uhrzeit innerhalb eines Tages. Durch Beobachtung dieser Abweichung über einen längeren Zeitraum kann man den mittleren täglichen Gang eines Werkes bestimmen. Der Gang hängt natürlich vom Trageverhalten ab, da Bewegungen, Stöße und Temperaturänderungen einen Einfluss darauf haben.
- Als Regulieren (englisch: regulating) wird das Verändern des Gangs bezeichnet. Entweder durch Veränderung der sogenannten wirksamen Länge der Unruhspirale über den Rücker oder durch Veränderung des Trägheitsmomentes der Unruh über kleine Gewichte, häufig in Form von Schrauben.
Ist der Gang weitgehend konstant, hat man ein sehr präzise gehendes Uhrwerk vor sich. Es muss nur ein wenig reguliert werden, um die korrekte Uhrzeit anzuzeigen.
- Als Feinstellung (englisch: adjusting) oder Reglage (aus dem Französischen) bezeichnet man Maßnahmen, die darauf abzielen, einen möglichst stabilen Gang bezüglich der Lage des Werkes (Position), der Temperatur und des Isochronismus (stabiler Gang über den Kraftverlauf der Aufzugsfeder) zu erreichen. Dazu gehören z. B. das Zentrieren und Flachlegen der Spirale, das Auswuchten des Unruhreifes, die Einstellung des Spiralschlüssels, aber auch das Optimieren des Kraftverlaufs der Aufzugsfeder. Bei vielen Werken wird die Unwucht der Unruh vom Hersteller dadurch korrigiert, dass auf der Unterseite etwas Material mit einem Fräser oder Laser abgetragen wird.
Im Deutschen werden die Begriffe Regulieren, Feinstellung und Reglage auch häufig synonym genutzt, sodass nicht immer ganz klar ist, um was es genau geht. Die Feinstellung ist also die hohe Kunst der Uhrmacherei, wir beschränken uns hier auf das Regulieren des Werkes. Und auch da beschränken wir uns auf den Fall des Regulierens über einen Rücker, da dieser bei modernen Werken am häufigsten vorkommt. Das Regulieren über das Trägheitsmoment der Unruh erfordert sehr viel mehr Erfahrung, da Anpassungen immer synchron auf den gegenüberliegenden Seiten des Unruhreifes erfolgen müssen. Andernfalls erzeugt man eine Unwucht der Unruh, die sich mit Sicherheit negativ auf den Gang auswirkt!
Bevor wir nun an die Praxis des Regulierens gehen, müssen wir uns noch mit der Funktionsweise des Rückers vertraut machen und verstehen, wieso man als Anfänger besser die Finger vom Spiralklötzchenträger lässt!
Wir machen dies am Beispiel des bekannten Werkes Unitas / ETA 6497. Im folgenden Bild ist der Rücker mit R beschriftet, der Spiralklötzchenträger mit S und der Rückerzeiger mit RZ.
Der Rücker besteht aus einem kleinen Hebel, der mit einem gespannten Ring um das obere Unruhlager gelagert ist und sich drehen lässt. An der Unterseite des Rückers befinden sich zwei sehr schmale Stifte, der Spiralschlüssel, zwischen denen die äußerste Windung der Spiralfeder hindurchgeführt ist. Der Spiralschlüssel begrenzt die sogenannte wirksame Länge der Spiralfeder, also den Teil der Spirale, der einen wesentlichen Einfluss auf das Schwingverhalten hat.
Der Rückerzeiger ist über einen gespannten Ring mit dem Rücker verbunden, sodass ein Verschieben des Rückerzeigers zu einer Verschiebung des Rückers führt. Beim Verschieben des Rückerzeigers hat man meist mehr Gefühl für winzige Veränderungen als direkt am Rücker. Es gibt allerdings auch Werke ohne Rückerzeiger, etwa das Miyota 9015, sodass man zum Regulieren direkt den Rücker verschieben muss.
Die Spiralfeder ist ein Stückchen länger als die wirksame Länge und endet im Spiralklötzchenträger. Dieser markiert also den äußeren Befestigungspunkt der Spiralfeder. Der Teil der Spiralfeder zwischen Rücker und Spiralklötzchenträger hat im Idealfall keinen nennenswerten Einfluss auf das Schwingverhalten der Unruh. Bei älteren Werken ist der Spiralklötzchenträger fest mit dem Unruhkloben verbunden. Bei neueren Werken kann er dagegen ebenfalls verschoben werden. Mit ihm stellt man den sogenannten Abfallfehler (englisch: beat error) ein. Dieser beschreibt im Prinzip die Asymmetrie zwischen dem Tick und dem Tack des Werkes und sollte möglichst gering sein. Und hier besteht eine große Gefahr beim Regulieren eines Werkes: verdreht man statt des Rückers den Spiralklötzchenträger, kann man dies als Anfänger ohne Zeitwaage nicht wieder korrigieren. Im schlimmsten Fall läuft das Werk dann gar nicht mehr an. Also Finger weg vom Spiralklötzchenträger als Anfänger!
Zum Regulieren stellen sich nun folgende Fragen:
- In welche Richtung muss ich den Rücker verschieben, damit das Werk schneller bzw. langsamer wird?
- Wie weit muss ich den Rücker verschieben?
- Mit welchem Werkzeug mache ich das?
- Wie reguliert man eigentlich ein Werk in mehreren Lagen, wenn es nur einen Rücker gibt?
Die Frage nach der Richtung lässt sich ganz einfach beantworten, wenn man folgendes Grundprinzip verinnerlicht hat (auswendig lernen!): verkürzt man die wirksame Länge der Spirale, läuft das Werk schneller, verlängert man sie, wird es langsamer. Dreht man also den Rücker in Richtung des Spiralklötzchenträgers, wird die wirksame Länge der Spirale größer, das Werk damit langsamer. Dreht man den Rücker weg vom Spiralklötzchenträger, wird die wirksame Länge kleiner und das Werk schneller. So sieht das dann im oben bereits gezeigten Bild aus:
Wie weit muss man nun drehen, um den Gang z. B. um plus bzw. minus fünf Sekunden zu ändern? Meist reicht dazu ein Bruchteil eines Millimeters aus! Also mit kleinen Änderungen starten und dann das Gangverhalten beobachten! Mit einer Zeitwaage geht die Kontrolle sehr schnell, ohne dauert es einige Stunden, bis man die erreichte Änderung des Gangs beurteilen kann. Idealerweise wartet man einen ganzen Tag ab.
Und welches Werkzeug nutzt man dazu? Profis machen das häufig mit einem kleinen Schraubendreher. Anfänger rutschen damit aber leicht ab, sodass dessen Spitze gerne in der Unruhspirale landet und diese vermurkst! Ich empfehle daher einen solchen Stab aus Kunststoff:
Die runde Spitze hat im Gegensatz zum Schraubendreher den Vorteil, dass man damit feinfühlig seitlich rollende Bewegungen machen kann. Aber auch mit diesem Werkzeug ist natürlich äußerste Vorsicht geboten!
Bleibt die Frage, wie man ein Werk in den verschiedenen Lagen reguliert. Typischerweise stellt man mit einer Zeitwaage den Gang in den sechs Lagen Zifferblatt oben, Zifferblatt unten, (hängend) Krone oben, Krone unten, Krone links und Krone rechts fest. Idealerweise sind die Unterschiede im Gang sehr gering. Sind sie dies nicht, ist das Werk nicht ordentlich feingestellt, was insbesondere bei Vintage-Werken nicht selten ist. Der Laie kann dies nicht korrigieren! Die Antwort auf die Frage lautet also: das Werk kann über den Rücker nur so reguliert werden, dass Abweichungen zwischen den Lagen möglichst klein werden und das Werk beim eigenen Trageverhalten einen akzeptablen Gang aufweist. Hat das Werk z. B. in der Lage Zifferblatt oben einen Gang von -9 Sekunden pro Tag und in der Lage Krone rechts -3 Sekunden pro Tag, kann man den Gang über den Rücker um z. B. +5 Sekunden pro Tag korrigieren. Dann hat es in den zwei genannten Lagen -4 bzw. +2 Sekunden pro Tag. Unterschiede des Gangs in den verschiedenen Lagen kann man gezielt dazu nutzen, die Uhr über Nacht so geschickt abzulegen, dass eine über den Tag angesammelte Abweichung teilweise wieder ausgeglichen wird!
Wie das Regulieren beim Unitas / ETA 6497 erfolgt, haben wir oben gesehen. Diese Anleitung funktioniert für alle Werke, die einen normalen Rückerzeiger haben, also für einen Großteil aller Werke. Schauen wir uns noch die Besonderheiten bei einigen anderen Werken an.
Miyota 9015:
Da dieses Werk keinen Rückerzeiger besitzt, muss man es leider direkt am Rücker regulieren. Also Vorsicht!
ETA 2824-2:
Dieses Werk weist gleich zwei Besonderheiten auf:
- Das Automatikmodul verdeckt den Rücker.
Lediglich der Spiralklötzchenträger ist zu sehen und verführt daher den Anfänger, diesen für den Rücker zu halten. - Statt eines Rückerzeigers hat das Werk eine Exzenterschraube zur Feinregulierung. Es gibt allerdings auch ältere ETA 2824-2, die einen ganz normalen Rückerzeiger haben.
Die Exzenterschraube sitzt zwischen einem gabelförmigen „Rückerzeiger“, der beim Drehen der Schraube nach links oder rechts bewegt wird. Steht die Schraube so, wie im nächsten Bild gezeigt, ist sie sozusagen in der Nullstellung. Dreht man sie nach rechts bzw. links, kann man das Werk um bis zu 20 Sekunden pro Tag schneller oder langsamer machen. Der Regulierungsbereich umfasst also ca. 40 Sekunden pro Tag. Man beachte, dass der Schlitz der Schraube nur auf einer Seite offen ist!
Bei größeren Abweichungen muss zuerst das Automatikmodul demontiert werden, um direkt an den Rücker zu kommen. Wenn man weiß, wie das geht, ist es eigentlich ganz einfach. Bei großen Abweichungen besteht aber immer der Verdacht, dass das Werk akuten Revisionsbedarf hat! Um dies zu prüfen, benötigt man aber eine Zeitwaage.
Nach dem Abschrauben des Rotors müssen lediglich die zwei im nächsten Bild rot markierten Schrauben entfernt werden, dann kann das Automatikmodul als Ganzes entfernt werden. Da es komplett gekapselt ist, fällt dabei nichts heraus.
Taschenuhrwerk mit Schwanenhalsfeinregulierung:
Hochwertige Taschenuhrwerke haben häufig am Rückerzeiger eine Schwanenhalsfeinregulierung, auch bei Armbanduhrwerken ist sie gelegentlich anzutreffen. Sie besteht aus einer Feder, die gegen den Rückerzeiger drückt. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine Schraube, über die der Rückerzeiger gehen den Federdruck verschoben werden kann. Damit kann der Rückerzeiger extrem feinfühlig positioniert werden.
Nur am Rande:
Chinesische Nachbauten des Unitas/ETA 6497/6498 haben häufig eine Schwanenhalsfeinregulierung, die leider lediglich ein Dekoelement ist. Das Metall der Feder ist so weich, dass diese keinen Druck auf den Rückerzeiger ausübt.
Dieser Artikel soll kein Kompendium aller verfügbaren Regulierungsmöglichkeiten sein, sondern ein Einstieg in das Thema für Anfänger. Wer sich dafür interessiert, wird noch weitere spannende technische Lösungen zur Regulierung eines Uhrwerkes finden!
Hallo Andreas,
leider ist bei meiner Taschenuhr (IWC, Kal. 57) der Verstellbereich der Schwanenhals-Rückerregulierung schon deutlich überschritten.
Somit werde ich den Vorgang (60sec/d) wohl durch Herausdrehen der Schrauben am Unruhreif beseitigen müssen. Meine Frage: lässt sich das ohne Ausbau der Unruh bewerkstelligen oder überlastet das Drehen die Wellen-Zapfen?
Viele Grüße
Wolfgang
Hallo Wolfgang,
wenn der Verstellbereich des Rückers nichts ausreicht, spricht das eher für einen Revisionsbedarf als für die Notwendigkeit, über die Schrauben zu regulieren. Und die meisten Schrauben einer Schraubenunruh sind sog. Gewichtsschrauben, die nicht dem Regulieren dienen, sondern dem Ausgleich von Schwerpunktfehlern. Die zwei bis vier Regulierschrauben dagegen müssen auf gegenüberliegenden Seiten immer exakt gleich verändert werden. Das ganze Thema ist m. E. nur etwas für Profi-Uhrmacher oder sehr fortgeschrittene Amateure.
Ganz toll beschrieben! Und wendet sich wirklich mal an den Anfänger!
super beschrieben, danke.
Eine so gute und verständliche Beschreibung findet man sonst nirgends.
Lieber Andreas, das obenstehende ist wirklich fantastisch einfach und dennoch effizient geschrieben. Besten Dank dafür und herzliche Grüße!