Hebdomas – ein Blick ins Uhrwerk

Hebdomas-Taschenuhren haben aufgrund ihrer Erscheinung einen hohen Wiedererkennungswert – die dezentral angeordneten Zeiger und die auf der Zifferblattseite sichtbare Unruh mit einer großen Unruhbrücke fallen sofort in Auge. Wir werfen hier einen Blick auf die Technik der Uhrwerke dieser Uhren.

Hebdomas bezeichnet im Griechischen und Lateinischen die heilige Karwoche. Diese Uhren versprechen also, mindesten eine Woche ohne erneuten Aufzug zu laufen. Sogar etwas mehr, steht doch auf dem Zifferblatt meist 8 Jours, 8 Days oder 8 Tage.

Die Geschichte in aller Kürze

Als Erfinder der Hebdomas gilt Irénée Aubry aus Saignelégier in der Schweiz, der im Januar 1889 das Schweizer Patent Nummer CH88 für eine erste Ausführung dieser Uhren erhielt. Es trägt, ins Deutsche übersetzt, den etwas sperrigen Titel „Neue Anordnung des Mechanismus für Uhren aller Größen, besonders anwendbar auf Schmuckuhren und Uhren, die acht Tage und mehr gehen“.

Schweizer Patent CH88 (Auszug)

Wenige Monate später übergab Aubry das Patent an die Firma Aubry, Graizely & Godat, die dann anfing, die Hebdomas-Taschenuhren zu produzieren. Graizely entwickelte das Konzept von Aubry weiter, indem er sich 1901 im Schweizer Patent CH24675 die bekannte Form der großen Unruhbrücke patentieren ließ.

Schweizer Patent CH24675 (Auszug)

Der Name Hebdomas wurde für diese Ausführung mit der großen Unruhbrücke etabliert, allerdings erst um 1906.

Aubry zog sich 1912 aus dem Geschäft zurück und 1913 übernahm Otto Schild die Firma Graizly & Co. Er produzierte mit der Firma Schild & Co in La Chaux-de-Fonds um 1918 etwa 1.000 Hebdomas-Uhren pro Tag! Die Uhren waren also offensichtlich sehr erfolgreich, was sich auch daran ermessen lässt, dass diese Uhren bis in die 1970er produziert wurden. Otto Schild hatte übrigens nichts mit dem berühmten Werkehersteller Adolph Schild S.A. (AS, ASSA) zu tun!

Nach dem Ende der Firma Schild & Co gingen die Rechte am Design und an der Marke Hebdomas 1982 an die Firma Xantia über, die diese Uhren bis in die 1990er produzierte. Mit einer gesamten Produktionszeit von fast 100 Jahren kann man bei den Hebdomas-Uhren also zu Recht von einem Erfolgsmodell sprechen!

Wer sich für eine umfassende Darstellung der Geschichte der Hebdomas-Uhren interessiert, wird bei diesem sehr lesenswerten Artikel von Stephen Foskett fündig: Hebdomas: The True Story of the 8-Day Pocket Watch – Grail Watch (grail-watch.com)

Die Technik der Hebdomas-Uhren

Die Sichtbarkeit der Unruh auf der Zifferblattseite und die große Unruhbrücke deuten bereits auf eine ungewöhnliche Konstruktion des Uhrwerkes hin. Aber auch die Rückseite des Werkes hat eine Besonderheit zu bieten. Diese wird nämlich vollständig von einem sehr großen Federhaus überdeckt, das ebenfalls typisch für Hebdomas-Uhren ist.

Bild der Hebdomas-Ersatzteile aus der Classification Horlogère von 1949

So sieht das Werk dann ausgebaut aus:

Und nach dem Abnehmen des Zifferblattes:

Auf der Zifferblattseite findet sich die Aufschrift HEBDOMAS sowie die Kalibernummer 101 in einem Schild, dem Logo von Schild & Co. Die große Schraube mit den zwei Löchern im Zentrum des Federhaus lässt sich mit einem alten Spezialwerkzeug, dem Deckplattenabheber, entfernen.

Eine alte abgeschliffene Pinzette, idealerweise aus Kupfer, damit sie beim Drehen keine Kratzer hinterlässt, tut es aber auch.
Aber Vorsicht! Die Schraube hat ein Linksgewinde, muss zum Öffnen also nach rechts gedreht werden. Leider wird das häufig übersehen und die Schraube entsprechend beschädigt. Gebrauchte Hebdomas-Uhren sehen daher leider häufig so aus wie auf dem nächsten Bild. Die Originalschrauben werden mehr oder weniger intelligent ersetzt, das Gewinde ist aber fast immer vermurkst.

Hebdomas mit defekter Schraube am Federhaus

So sieht es unter dem Federhaus bzw. auf dessen Rückseite aus:

Das große Rad in der Mitte des Werkes ist nicht, wie sonst bei Uhrwerken üblich, das Stundenrad, sondern der Federhauskern, der über seine Verzahnung das Räderwerk auf der anderen Werkseite antreibt. Bei einem klassisch aufgebauten Werk übernimmt die Verzahnung des Federhauses diese Rolle. Auf dem nächsten Bild sieht man die Funktion des Federhauskernes etwas besser.

Die Verzahnung am Außenrand des Federhauses dient zum Aufzug und zum Eingriff der Sperrklinke. Hier wird beim Aufzug also das Federhaus gedreht und beim Ablaufen dreht sich der Federhauskern. Bei einem klassischen Werkaufbau ist es genau umgekehrt. Das Federhaus hat einen Innendurchmesser von 36 mm und die Feder eine Länge von 120 cm! Irgendwo muss die lange Laufzeit ja herkommen.

Aber das Federhaus hat noch mehr zu bieten! Es enthält eine Schleppfeder, an die die Zugfeder angenietet ist. Im nächsten Bild kennzeichnet der grüne Pfeil den Beginn der Schleppfeder, der rote Pfeil deren Ende. Die Zugfeder läuft am Außenrand der Schleppfeder entlang und ist an der mit dem roten Oval markierten Stelle mit dieser vernietet. Das gebogene Ende der Schleppfeder rastet in eine von 5 Vertiefungen im Federhausrand ein (blaue Rechtecke), solange die Feder stark genau dagegen drückt. Zieht die Zugfeder beim Aufziehen des Werkes den Haken zur Mitte, verlässt die Schleppfeder irgendwann die Vertiefung und springt lautstark zur nächsten. Die Feder hat also keinen festen Anschlag bei Vollaufzug.

Das laute Knacken des gebogenen Endes der Schleppfeder wird häufig als defekte Zugfeder interpretiert! Auf dem folgenden Video ist dieses Knacken ab Sekunde 11 gut zu hören.

Es gibt übrigens auch eine Variante, bei der die Zugfeder nicht mit der Schleppfeder vernietet ist, sondern in einen Haken der Schleppfeder eingehängt wird. Das nächste Bild zeigt ein solches Exemplar:

Werfen wir noch einen Blick auf das Räderwerk:

Die grüne Linie zeigt den Kraftfluss vom Federhauskern (1) über das Beisatzrad (2), das Großbodenrad (3), das Kleinbodenrad (4) und das Sekundenrad (5) zum Ankerrad (6).

Das Großbodenrad, auch Minutenrad genannt, befindet sich bei einem klassischen Werkaufbau in der Mitte des Werkes. Da die Zeitanzeige bei den Hebdomas-Werken dezentral ist, muss das Großbodenrad hier natürlich auch dezentral liegen.

Das Beisatzrad ist typisch für 8 Tage-Werke, auch in Großuhren. Es sorgt für die passende Übersetzung zwischen Federhaus und dem restlichen Räderwerk. Bei diesen Hebdomas-Uhren dreht sich das Federhaus nur etwa 1,4-mal pro Tag.

Zum Abschluss hier noch die technischen Daten des gezeigten Werkes:

  • Abmessungen: 18 3/4´´´ (Französische Linien), Höhe 9,1 mm
  • Schweizer Ankerhemmung
  • Stunde, Minute, ohne Sekunde
  • 15 Steine
  • Monometallische Schraubenunruh mit flacher Spirale
  • Schlagzahl: 18.000 A/h (Halbschwingungen pro Stunde)
  • Keine Stoßsicherung
  • Kronenaufzug

4 Gedanken zu „Hebdomas – ein Blick ins Uhrwerk“

  1. Sehr geehrter Herr Kelz,

    eine Hebdomas Taschenuhr mit Datum und Wochentaganzeige habe ich von meinem Großvater vor ca. 70 Jahren erhalten. Ich bin ganz stolz auf diese Uhr und will sie gerne weiter in der Familie vererben.

    Nun zu meiner Frage gibt zu dieser Uhr (Baujahr um 1900) noch Unterlagen und wo kann ich diese beziehen?

    Vielen Dank für Ihre Mühen und bitte geben mir die Antwort via e-mail oder Mobil unter: .

    Mit freundlichen Grüßen

    Otto Menk

    1. Ich bin kein Spezialist für diese Uhren, aber so furchtbar viele Unterlagen wird es wohl nicht geben. Einige habe ich hier ja gezeigt bzw. verlinkt. Der größte Teil der Uhrengeschichte fand vor dem Internetzeitalter statt, sodass viele Informationen im besten Fall in irgendwelchen Papierarchiven lagern, die noch auf ihre Digitalisierung warten.

  2. Ich finde den Artikel sehr gelungen. Gibt es eine Möglichkeite diesen oder auch andere Artikel herungterzuladen???

    1. Nur eingeschränkt. Entweder über das Drucken auf einen PDF-Drucker oder als Webseite speichern (abhängig vom Browser).

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