Du interessierst dich für Uhrwerke und würdest gerne mal eines zerlegen und wieder zusammenbauen? Ich zeige dir hier, wie es geht!
Und zwar am Beispiel des Seagull ST3600 (mehr zum Werk weiter unten):
Als Anfänger sollte man einige Grundsätze beherzigen:
- Mach dich mit der Funktionsweise eines Uhrwerkes vertraut! Du solltest beim Zerlegen alle relevanten Teile wiedererkennen. Hier geht es zu den Grundlagen:
Wie funktioniert ein mechanisches Uhrwerk? Teil 1 – Theorie
Wie funktioniert ein mechanisches Uhrwerk? Teil 2 – Praxis - Nimm ein möglichst großes Werk, da ist alles besser sichtbar und leichter greifbar!
- Nimm ein funktionierendes Werk, sonst weißt du nach dem Zusammenbau nicht, ob du einen Fehler gemacht hast oder nicht!
- Mach beim Zerlegen von jedem Schritt Fotos! Viele Fotos!
- Nimm gutes Werkzeug, sonst kaufst du mindestens zwei Mal, wenn du später weitermachen willst!
- Arbeite nur an Uhrwerken, wenn du die Zeit und die Ruhe dazu hast!
- Wasch dir vor dem Arbeiten die Hände und fasst die Teile nur mit der Pinzette an! Wenn du sie mit der Hand anfasst, tu dies immer nur am Rand! Fingerabdrücke hinterlassen hässliche Flecken.
Das Werk – Seagull ST3600
Eines der besonders gut für den Einstieg geeigneten Werke ist das Schweizer ETA 6497 (früher: Unitas 6497). Mit einem Durchmesser von ca. 37 mm ursprünglich ein Taschenuhrwerk, das seit mehr als 60 Jahren gebaut wird. Auch heute noch wird es gerne in größeren Uhren verbaut, etwa in solchen Pilotenuhren:
Typisch für das 6497 ist die kleine Sekunde bei 9 Uhr. Es gibt auch ein ETA 6498 mit der kleinen Sekunde bei 6 Uhr.
Das Werk hat 17 Steine und einen Durchmesser von 36,6 mm.
Aufgrund eines vom Hersteller ETA stark verknappten Angebotes an Werken und Ersatzteilen, sind diese Werke mittlerweile so teuer geworden, dass ein Anfänger davon Abstand nehmen sollte.
Wir beschäftigen uns hier mit dem vom chinesischen Hersteller Seagull legal nachgebauten 6497 (genauer: 6497-2), dem ST3600. Seagull ist ein renommierter Hersteller und das ST3600 steht m. E. dem Original qualitativ in nichts nach. Mit einem Preis um die 50 Euro also ein guter Einstieg in ein tolles Hobby. Und eine schöne Uhr lässt sich damit auch noch bauen!
Werkzeug und Aufbewahrung
Wir benötigen eine Box zur Aufbewahrung der Einzelteile des Werkes. Hier zwei mögliche Varianten:
Und folgendes Werkzeug:
- Zwei Schraubendreher mit den Klinkenbreiten 1,2 und 1,6 mm
- Einen Werkhalter zum Einspannen des Werkes
- Eine Lupe Nummer 3 (Vergrößerung 3,3-fach)
- Ein Zahnstocher
- Eine Pinzette (nicht zu fein)
Das Ausschalen des Werkes
Das Werk, an dem du arbeiten willst, befindet sich noch im Gehäuse? Dann musst du es zuerst ausbauen (auch „ausschalen“ genannt). Wie das geht, zeige ich dir hier:
Ein Uhrwerk aus dem Gehäuse ausbauen
Los geht’s!
Bevor wir anfangen, gleich zu Beginn ein wichtiger Hinweis:
Auf der Zifferblattseite befindet sich der Zapfen (die Achse) des Sekundenrades! Wenn man diesen starke mechanisch belastet, bricht er ab. Also Vorsicht beim Handtieren mit dem Werk!
Nach dem Auspacken oder Ausschalen des Werkes bemerkt man sofort, dass es zwei Teile gibt, die nur lose auf dem Werk aufliegen:
- Das Stundenrad (Nummer 1 im Bild)
Gehört genau in die Mitte auf der Zifferblattseite) - Der Flitter (Nummer 2)
Gehört auf das Stundenrad und zwar so herum:
Also gut auf die Teile aufpassen, sie werden später wieder benötigt!
Abspannen der Feder
Falls das Werk zuvor aufgezogen wurde und läuft, muss vor dem Zerlegen noch die Aufzugsfeder abgespannt werden. Tut man dies nicht, können Teile des Werkes später beim Zerlegen Schaden nehmen!
Die Klinke (Nummer 3) verhindert, dass die Feder sich schlagartig wieder entspannen kann. Sie sorgt also dafür, dass sich die Feder nur dadurch entspannen kann, dass sie Energie an die schwingende Unruh abgibt.
Zum manuellen Abspannen der Feder musst du die Krone (in der Position „Aufziehen“) wie beim Aufziehen minimal drehen und festhalten. Die Klinke kann dann mit dem Zahnstocher zur Seite gedrückt werden, sodass sie das Sperrrad nicht mehr blockiert. Dann kannst du die Krone langsam durch die Finger rutschen lassen, bis die Feder ganz entspannt ist. Keine Angst, du merkst am nachlassenden Druck an den Fingern, wann dies der Fall ist! Und die Unruh hört dann auch bald auf zu schwingen.
Ausbauen der Unruh
Neben dem oben erwähnten Sekundenrad ist die Unruh das empfindlichste Teil, daher bauen wir diese zuerst aus. Einfach die Schraube lösen und dann die ganze Baugruppe (Nummer 4) am Unruhkloben (dieser enthält das Loch für die Schraube) herausheben. Es ist völlig normal, dass dabei der Unruhreif an der Spiralfeder etwas nach unten durchhängt!
Die Unruheinheit nun vorsichtig mit dem Kloben nach unten ablegen. Also nicht so:
Sondern so:
Warum?
Auf beiden Seiten der Unruh befindet sich ein sehr dünner und damit empfindlicher Zapfen (das Endstück der Achse) der Unruhwelle. Auf der Seite des Unruhklobens steckt der Zapfen im zugehörigen, stoßgesicherten Steinlager. Auf der anderen Seite ist er im ausgebauten Zustand völlig ungeschützt. Deshalb legt man diese Seite stets nach oben!
Wir werden die Einheit aus Unruh, Spirale und Unruhkloben hier nicht weiter zerlegen. Dies ist zwar möglich, bringt dir m. E. zunächst aber keinen Erkenntnisgewinn.
Achte darauf, die zwei Rücker auf dem Unruhkloben nicht zu verschieben. Andernfalls wirst du wahrscheinlich eine Zeitwaage benötigen, um das Werk wieder zu justieren.
Teile auf der Federhausbrücke entfernen
Die Federhausbrücke ist die größere der zwei Brücken. Auf ihrer Oberseite befinden sich folgende Teile:
- Das Kronrad (Nummer 5) mit Kronradkern (Nummer 6)
- Das Sperrrad (Nummer 7)
- Die Klinke (Nummer 3) und die darunter liegende Klinkenfeder (Nummer 8)
Fang bitte noch nicht an, die Teile abzuschrauben!
Kronrad und Sperrrad dienen dazu, die Drehbewegung der Krone beim Aufziehen auf die Aufzugsfeder im Federhaus zu übertragen und so die Feder aufzuziehen. Und die Klinke dient, wie schon erwähnt, dazu, zu verhindern, dass sich die Feder durch Rückwärtsdrehen dieser Räder gleich wieder entspannt. Die Klinkenfeder drückt die Klinke gegen das Sperrrad.
Okay, jetzt kann es mit dem Kronrad (6) losgehen:
Die Schraube des Kronrades hat bei fast allen Uhrwerken ein Linksgewinde, wird also durch Drehen des Schraubendrehers nach rechts gelöst! Millionen Kronradschrauben wurde vermutlich schon abgebrochen, weil der Uhrenbastler dies nicht wusste!
Innen im Kronrad liegt der Kronradkern (6). Pass auf, dass dieser nicht verloren geht!
Das Sperrrad (7) hat ein ganz normales Rechtsgewinde und kann jetzt auch abgeschraubt werden.
Nur am Rande:
Es gibt Uhrwerke, bei denen auch das Sperrrad ein Linksgewinde hat. In diesem Werk ist die Kronradschraube aber das einzige Teil mit Linksgewinde. Merk dir, welches die Schraube mit Linksgewinde war, um beim späteren Zusammenbau die richtige zu verwenden!
Die Klinke lässt sich nun auch ganz einfach entfernen:
Unter der Klinke kommt dann die Klinkenfeder (8) zum Vorschein, eine kleine Ringfeder:
Bevor wir die zwei Brücken des Werkes nun abnehmen können, entfernen wir zuerst ein Teil auf der Zifferblattseite des Werkes:
Das Minutenrohr
Das Minutenrohr (Nummer 9) befindet sich in der Mitte des Werkes und ist dort relativ satt auf das Minutenrad (später mehr…) aufgepresst. Es trägt einerseits den Minutenzeiger und dient andererseits auch dazu, das Stellen der Zeiger zu ermöglichen. Das Minutenrohr bildet dabei eine Art Rutschkupplung.
Achtung:
Wenn du jetzt versuchst, das Minutenrohr mit der Pinzette nach oben abzuziehen, passt auf den oben schon erwähnten Zapfen des Sekundenrades auf! Wenn du die Pinzette an der falschen Stelle genau bei diesem Zapfen ansetzt, ist der Zapfen ruckzuck abgebrochen.
Es ist durchaus normal, wenn du recht viel Kraft aufwenden muss, um das Minutenrohr abzuziehen.
Wenn es nicht klappt und die Pinzette immer wieder abrutscht, gibt es zwei Optionen:
- Anderes Werkzeug
Mit einem solchen Stiftenklöbchen kann man das Minutenrohr vorne einschrauben und dann senkrecht nach oben abziehen: - Lass das Minutenrohr wo es ist. Dann können wir später zwar auch das Minutenrad nicht ausbauen, das macht aber nichts!
Unter den Brücken
Nun kannst du endlich auf der anderen Seite des Werkes die zwei Brücken abschrauben:
- Die Federhausbrücke (Nummer 10)
Darunter liegt, wer hätte es geglaubt, das Federhaus. Und das Minutenrad in der Mitte des Werkes. - Die Räderwerkbrücke (Nummer 11)
Darunter befinden sich die restlichen Zahnräder zwischen Minutenrad und Anker
Die Schrauben der zwei Brücken sind identisch, hier gibt es also nichts zu verwechseln.
Jetzt kannst du der Reihe nach die folgenden Teile entnehmen:
- Minutenrad (Nummer 13), auch Großbodenrad genannt
- Federhaus (Nummer 12)
- Sekundenrad (Nummer 15)
Das ist das schon mehrfach erwähnte Rad mit dem langen Zapfen, der leicht bricht, wenn er stark belastet wird - Kleinbodenrad (Nummer 14), manchmal auch Zwischenrad genannt
- Ankerrad (Nummer 16)
Wenn du magst, kannst du das Federhaus auch öffnen. Es hat einen dünnen Deckel, der leicht aufgedrückt werden kann, wenn man das Federhaus mit der Seite, die das Loch für die Schraube trägt, nach unten auf eine feste Platte legt und dann den Absatz mit dem Zahnkranz mit den Fingernägeln beidseitig nach unten drückt.
Im Federhaus siehst du dann die Zugfeder und den Federhauskern. Beiden belassen wir hier aber und nehmen sie nicht heraus, da das Wiedereinwinden der Feder etwas Übung erfordert.
Bleibt auf der Brückenseite nur noch, die Ankerbrücke (Nummer 17) abzuschrauben und den Anker (Nummer 18) zu entnehmen. Am Anker befinden sich zwei Rubine, die Ankerpaletten. Es ist ganz interessant, diese mal mit der Lupe näher zu betrachten. Ein kleines Kunstwerk, dieser Anker!
Weiter geht es auf der Zifferblattseite
Um an die weiteren Teile herankommen zu können, muss zuerst die Winkelhebelfeder (Nummer 19) entfernt werden. Sie sorgt dafür, dass die Krone zwei deutlich spürbare Positionen (Aufziehen und Zeigerstellen) einnehmen kann.
Direkt darunter liegen einige Teile. Als Erstes müssen wir die Kupplungshebelfeder (Nummer 20) sicherstellen, bevor sie in hohem Bogen durchs Zimmer fliegt und entschwindet.
Als Anfänger kann man hier ruhig einen Finger auf die Feder legen, um sie dann mit der Pinzette herauszuhebeln.
Geschafft? Prima!
Nun können wir gefahrlos diese Teile entnehmen:
- Kuppungstriebhebel (Nummer 21)
- Zwei Zeigerstellräder (Nummer 22)
Okay, eigentlich sind es ein Zeigerstellrad und ein Zwischenzeigerstellrad, aber bei diesem Werk sind beide völlig identisch - Wechselrad (Nummer 23)
Der Kupplungstriebhebel ist zusammen mit der Kupplungshebelfeder beim Umschalten zwischen den zwei verschiedenen Kronenpositionen beteiligt. Und die Zeigerstellräder sowie das Wechselrad dienen dazu, die Zeiger stellen zu können. Das Wechselrad hat darüber hinaus die Funktion, die Drehung des Minutenrades (einmal im Kreis in 60 Minuten) in die des Stundenrades (einmal im Kreis in 12 Stunden) zu übersetzen.
Finale
Um die letzten Teile zu entfernen, muss das Werk nochmal gedreht werden. Nach Lösen der Winkelhebelschraube (Nummer 24) fällt auf der anderen Werkseite der Winkelhebel (Nummer 25) ab, der die Aufzugswelle mit der Krone festhält.
Nun lässt sich die Aufzugswelle (Nummer 26) herausziehen. Das Aufzugstrieb (Nummer 27) und das Kupplungstrieb (Nummer 28) lösen sich dabei auch.
Die Nummer 29 zeigt das untere Lager der Unruhwelle mit der Stoßsicherung (die goldene Feder). Diese Stoßsicherung könnte man auch noch öffnen, um die zwei darunter liegenden Rubine, den Lagerstein und den Deckstein, zu entnehmen. Das ist aber eher nichts für Anfänger…
Fertig!
Hier nun ein Gruppenbild mit allen Teilen:
Das war doch eigentlich ganz einfach, oder nicht?
Im Prinzip kannst du nun alle Schritte rückwärts gehen, um das Werk wieder zusammen zu bauen. Keine Angst, das funktiomiert!
Ich zeige ich dir aber demnächst, wie man das Werk „richtig“ wieder zusammbaut. Und wie du dabei nach jedem Schritt prüfst, ob alles in Ordnung ist.
Bis bald!
Vielen herzlichen Dank für die Zeit und Mühe,eine so detaillierte Anleitung zu schreiben,die es selbst ungelernten Uhrenliebhabern ermöglicht,6497 Werke zu zerlegen und zusammen zu bauen.Unterscheiden sich Angelus,Cortebert und Unitas wesentlich oder sind die nahezu identisch im Aufbau?
Ganz liebe Grüße
Oliver
Hallo Oliver,
vielen Dank!
Klassische Taschenuhrwerke sind meist sehr ähnlich aufgebaut. Wenn man den grundsätzlichen Aufbau mal verstanden hat, erkennt man kleine Unterschiede sehr leicht. Und ganz wichtig beim Zerlegen unbekannter Werke: viele Bilder machen!
Super Beschreibung – vielen Dank!!!