Vor einiger Zeit konnte ich aus dem
Nachlass eines Uhrmachers einige Werkstücke erwerben, die dieser während seiner
Ausbildung zum Gesellen und Uhrmachermeister angefertigt hat. Leider ist sein Name nicht überliefert.
Das Bild oben zeigt das Gesellen– und Meisterstück des unbekannten Uhrmachers, der an der Uhrmacherschule der Jobst-Gewerbeschule in Stuttgart gelernt hat. Wir kommen später noch auf diese Stücke zurück!
Die Jobst-Gewerbeschule für Metall- und Elektroberufe in Stuttgart wurde 1924 eröffnet, seit 1962 trägt sie den Namen Werner-Siemens-Schule.
Leider kannte ich zu Art und Umfang der Uhrmacherausbildung an der Jobst-Gewerbeschule keine Informationen finden. Gab es da richtige Uhrmacher-Klassen oder mussten ein paar wenige Uhrmacherlehrlinge bei den Metallern arbeiten?
Einen Hinweis auf die Lehrzeit des Uhrmachers geben die Stücke, die er in den Zwischenprüfungen der drei Lehrjahre angefertigt hat:
Er hat seine Ausbildung also von 1952 bis 1954 absolviert. Ob ich die Werkstücke korrekt den Lehrjahren zugeordnet habe, ist nicht sicher. Uhrmacher, die ich dazu befragt habe, waren sich da nicht einig.
Was sind das nun für Werkstücke?
Eindeutig zu erkennen ist links unten eine Kornzange (Pinzette). Das Teil über der Pinzette könnte eine Messlehre sein. Sie hat Einschnitte mit einer Breite von 0,9 / 1,2 / 1,6 und 2,1 mm. Zumindest 0,9 und 1,2 mm sind typische Durchmesser von Aufzugwellen.
Das Teil in der Mitte stellt mich vor ein Rätsel. Möglicherweise ist es ein Halter für einen Gewindeschneider oder ein Stichel-Schleifer.
Rechts oben sehen wir eine Klinke mit darunterliegender Klinkenfeder. Sie dient dazu, beim Aufzug eines Werkes das Sperrrad am Zurückdrehen zu hindern. Das Teil rechts unter der Klinke ist ein Modell eines Spiralklötzchenträgers, der bei einem Uhrwerk das Ende der Spiralfeder am Unruhkloben fixiert. Das andere Ende der Feder ist stets an der Unruh befestigt.
Der Uhrmacherlehrling hat aber noch einige andere interessante Übungsstücke angefertigt:
Die Aufzugwelle ganz links hat eine Länge von 64 mm, die ganz rechts von 11,5 mm. Und das große Modell einer Steinfassung einen Durchmesser von 50 mm.
Dies hier ist mein Lieblingsstück:
Die große Unruhwelle hat sensationelle 152 mm Länge und wiegt 420 g. Sie ist vermutlich nicht auf einer Uhrmacherdrehbank entstanden, sondern auf einer etwas größeren Maschine.
Und die kleinste Unruhwelle ist gerade einmal 3 mm lang!
Schauen wir uns die zwei ganz oben gezeigten Werke etwas genauer an. Zuerst das Gesellenstück:
Ein sogenanntes Stabwerk, bei dem alle Teile im direkten Kraftfluss vom Federhaus bis zur Unruh in einer geraden Linie liegen. Eingebaut in einen Plexiglasrahmen, der einen schönen Anblick des Werkes von beiden Seiten gewährt. Die verbauten Teile stammen ziemlich sicher aus einem Taschenuhrwerk. Leider fehlt der Aufzugsmechanismus, sodass man das Werk nur durch Drehen der Schraube am Sperrrad aufziehen kann. Es läuft aber auch heute noch tadellos!
Plexiglas scheint es dem angehenden Meister angetan zu haben, da auch sein Meisterstück in einen kleinen Ständer aus diesem Material eingebaut ist:
Von vorne sieht man nur ein schlichtes Zifferblatt aus Metall, dessen Indizes aus einem goldfarbenen Draht bestehen. Das Zifferblatt ist sicher selbstgemacht. Auf der Rückseite hat man freien Blick auf das Werk:
Hier fallen sofort die lange Aufzugwelle, der Knopf zum Stellen der Zeiger und die Schwanenhals-Feinregulierung auf dem Unruhkloben auf.
Schauen wir uns das verbaute Taschenuhrwerk etwas näher an:
Ein paar Daten zum Werk:
- Durchmesser: 18 3/4“‘ (französische Linien)
- 16 Steine
- Bimetall-Schraubenunruh mit Breguet-Spirale
- Schwanenhals-Feinregulierung
- Kronenaufzug mit Drücker
Auf der Federhausbrücke und der Zifferblattseite sind die Initialen RB unter einer Tanne punziert:
Die Punze verweist auf den Hersteller N. Robert Bornand & Fils aus La Chaux-de-Fonds in der Schweiz. Das Logo wurde am 21.2.1887 registriert.
Die Firma wurde 1883 gegründet und 1888 umbenannt in Léon R. Robert, successeur de N. Robert Bornand & fils. Neben Uhrengehäusen soll die Firma auch selbst Uhrwerke hergestellt haben.
Was hat der Uhrmacher nun mit diesem Werk gemacht, um ein Meister seines Fachs zu werden? Ich vermute, dass er folgende Umbauten vorgenommen hat:
- Neues Ankerrad angefertigt (dieses hat eine sehr dunkle Farbe)
- Umbau des Kronenaufzugs mit Drücker auf Kronenaufzug mit Schlüssel zum Zeigerstellen
- Anfertigen einer sehr langen Aufzugwelle
- Zapfen der kleinen Sekunde gekürzt, da das Werk keinen Sekundenzeiger mehr trägt
- Anfertigen einer Schwanenhals-Feinregulierung
Falls einer meiner Leser weitere Informationen über die Uhrmacherschule der Jobst-Gewerbeschule in Stuttgart hat, würde ich mich sehr über eine Nachricht freuen!