Dieser öffnet die Uhr und verschiebt den Rücker am Unruhkloben (im Bild mit R markiert) so, dass die wirksame Länge der Unruhspirale größer bzw. kleiner wird. Wird sie größer, geht das Werk langsamer (– im Bild), wird sie kleiner, geht das Werk entsprechend schneller (+ im Bild). Mit Hilfe einer Zeitwaage kann er das Ergebnis sofort kontrollieren.
Könnte man also nicht einen Mechanismus schaffen, der es ermöglicht, den Rücker von außen zu bewegen, ohne das Gehäuse öffnen zu müssen? Natürlich! Damit kommen wir zur Uhr, die ich euch heute vorstellen möchte, eine AVIA ajustor.
Auf den ersten Blick eine ganz normale vergoldete Uhr aus der Zeit um 1960. Der aufmerksame Betrachter hat aber vielleicht schon die kleinen Plus- und Minuszeichen auf dem Ziffernblatt zwischen 5 und 6 Uhr entdeckt.
Seitlich am Gehäuserand sieht man dann auch zwei kleine Drücker.
Werfen wir also mal einen Blick in Innere der Uhr. Das Basiswerk ist ein FHF 73. Im Vergleich zum oben gezeigten Ausschnitt mit dem Rücker, ist der Rücker dieses Werkes hier viel breiter und länger. Er sieht aus wie ein Bommerang.
Und neben dem Boomerang sieht man einen Mechanismus von Hebeln, die zu den Drückern im Gehäuse führen.
Ein näherer Blick auf diese Mechanik zeigt, dass der Boomerang seitlich eine feine Riffelung aufweist, in die von links bzw. rechts jeweils ein kleiner Hebel drücken kann. Jeder Druck von außen auf einen der Knöpfe bewegt einer dieser Hebel und führt so dazu, dass der Rücker ein ganz kleines Stückchen verschoben wird.
Im Ruhezustand der Drücker gibt es einen kleinen Abstand zwischen den Hebeln und dem Rücker-Boomerang. Ein unbeabsichtigter Stoß gegen das Gehäuse kann also nicht dazu führen, dass der Rücker verschoben wird. Zumindest nicht mehr, als bei jedem anderen Werk auch.
Laut einer zeitgenössischen Werbeanzeige der Firma AVIA soll jeder Druck auf einer der Knöpfe den Gang um plus bzw. minus 5 Sekunden verändern. Bei meinen Tests mit einer Zeitwaage war das aber nicht so eindeutig, die Änderungen schwankten etwas zwischen 5 und 15 Sekunden. Ohne Zeitwaage kann es also einige Tage dauern, bis man den Gang so reguliert hat, wie man ihn gerne hätte.
Welcher Kopf bzw. welche Firma steckt nun hinter diesem interessanten Mechanismus? Das zugehörige Schweizer Patent CH321947 stammt von Fernand Etienne aus La Chaux-de-Fonds, wurde am 20.08.1955 eingereicht und am 31.05.1957 erteilt. Es beschreibt eine Vorrichtung zur Regulierung der Position des Rückers eines Uhrwerks. Das französische Patent FR1155849 von Fernand Etienne beschreibt dieselbe Erfindung.
Wenige Monate nach Einreichung des Patents hat sich Fernand Robert Etienne unter der Nummer 160316 am 26.03.1956 auch die Marke AJUSTOR eintragen lassen.
1976, also 20 Jahre später, wurde die Marke wegen Nichterneuerung wieder gelöscht. Zu Fernand Robert Etienne als Person konnte ich leider keine gesicherten Informationen finden.
Neben AVIA haben auch andere Marken Uhren mit dem Ajustor-Mechanismus auf der Basis des FHF 73 verkauft, etwa Telda, ZentRa und Montdor. An einem anderen Werk als dem FHF 73 habe ich den Mechanismus bisher nicht gesehen.
Wer hat diese Werke bzw. Uhren nun gebaut? Dass AVIA, Telda, ZentRa und Montor sie auf der Basis von Lizenzen unabhängig voneinander hergestellt haben, scheint mir unwahrscheinlich, da die Uhren alle praktisch identisch aussehen. Also Fernand Robert Etienne selbst? Möglich. In der oben gezeigten Anzeige von AVIA wird als Hersteller die Firma Degoumois & Co. S. A. aus Neuchâtel in der Schweiz genannt, die wiederum identisch mit der Avia Watch, Degoumois & Co. S. A. ist.
Möglicherweise hat also Etienne die Werke gebaut, AVIA daraus Uhren gemacht und diese dann an andere Hersteller mit der jeweils gewünschten Zifferblattbeschriftung weitergegeben. Das ist aber Spekulation…
Die Ajustor-Mechanik ist natürlich nicht der einzige Ansatz, ein Uhrwerk von außen zu regulieren. Andere Hersteller haben das auch versucht:
- Croton Acurator (Anfang der 1950er)
Die Uhr hat eine Schraube auf der Rückseite, mit der das Werk reguliert werden kann. - Benrus ER Self Regulating (1957)
Das Stellen der Zeiger führt dazu, dass gleichzeitig auch der Rücker etwas verschoben wird.
- King Seiko mit 5621- bzw. 5626-Werk (um 1970)
Mit einer Regulierschraube zwischen den Bandanstößen kann der Rücker am Werk exzentrisch bewegt werden. Es gibt also keine definierte Drehrichtung für + bzw. -! Ohne Zeitwaage eher ein Glückspiel.
Warum hat sich dieser Mechanismus bei mechanischen Uhren nie durchgesetzt? Hier können wir nur Vermutungen anstellen:
- Das Vorhandensein eines externer Regulationsmechanismus könnte dem Kunden suggeriert haben, dass die Uhr nicht besonders hochwertig ist, da sie ja anscheinend ab Werk nicht genau läuft und reguliert werden muss.
- Der verkaufende Uhrmacher hatte wohl eher wenig Interesse daran, dass seine Kunden die Uhr selbst regulieren können, ihn also nicht mehr benötigen.
- Aufgrund des zusätzlichen Mechanismus dürfte die Uhr teurer gewesen sein als vergleichbare Uhren ohne diesen.
Trotzdem bleiben der Ajustor-Mechanismus und seine Verwandten interessante Zeitzeugen der Uhrengeschichte!
Ich möchte hier auf die Bulova Calibrator aufmerksam machen, die wohl einen ziemlich genauen mechanischen Weg gefunden hat den Rücker von aussen zu verstellen.
https://uhrforum.de/threads/bulova-accu-swiss-calibrator-ref-63b172.297904/
Vielen Dank für die gute Aufbereitung dieses Themas, wirklich tolle Beispiele!
Vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht und das Thema recherchiert haben. Ich kannte diese Uhrwerke bisher nicht. Danke dass ich wieder etwas lernen könnte.
Mit freundlichen Grüßen aus Ahlen
Peter P.