Wer mehr Informationen zum Uhrengewerbe in Besançon sucht, wird hier fündig (französisch).
Etwas Geschichte
Am 27.11.1890 gründeten die drei Industriellen Alfred Rannaz, Julien Félix und Irénée Jaillon die Société anonyme d’horlogerie de Besançon. Etwa 40 Aktionäre statteten die Gesellschaft mit einem Kapital von 700.000 französischen Franken aus, was damals ein sehr beträchtlicher Betrag war.
Die Gesellschaft baute auf einem Gelände von 11.000 qm eine neue Fabrik in der Rue Gambetta 25 in Besançon, die Produktion dort startete im Mai 1892. Das nächste Bild zeigt eine Postkarte aus der Zeit um 1900: Die Rue Gambetta 25 ist das große Eckhaus rechts auf dem Bild. In der Vergrößerung des Schildes über der Tür kann man mit etwas Fantasie lesen:LA BISONTINE
MANUFACTURE…
H. GRUET ET BIL…
Irgendwann im Lauf der Jahre wurde der Firmenname um La Bisontine ergänzt, wie die folgende Postkarte von 1898 zeigt:
La Bisontine bzw. le Bisontin sind übrigens die Bezeichnung für die weiblichen bzw. männlichen Einwohner von Besançon!Die Aufschrift auf dem Türschild deutet darauf hin, dass das Bild aus einer Zeit stammt, in der die Gründer die Firma bereits an die Herren Gruet und Billiotte abgegeben hatten. Der Briefkopf von 1906 im folgenden Bild dokumentiert dies (Successeurs = Nachfolger).
Warum die Gründer die Firma abgegeben haben, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen. Zeitlich geschah dies möglicherweise 1902, zumindest haben Gruet und Billiotte 1902 eine gemeinsame Firma gegründet. Einer der Gründer der Société anonyme d’horlogerie de Besançon, Alfred Rannaz, war bereits 1900 verstorben.Der oben dargestellte Bildausschnitt der Rue Gambetta sieht etwa 120 Jahre später so aus, dass man die Straße durchaus wiedererkennen kann:
Die online auffindbaren Dokumente zu La Bisontine sind leider sehr spärlich gesät, sodass ich nur ein nebelhaftes Bild der Firma zeichnen kann. Schauen wir uns also an, was es noch an Informationen gibt.
Bereits 16.05.1893 ließ sich die Société anonyme d’horlogerie de Besançon in Deutschland einen sitzenden Hund auf einem Sockel mit der Inschrift Besançon als Marke registrieren:
Diese Marke finden wir auch als Punzierung auf den Uhrwerken der La Bisontine wieder, wenn auch schlecht erkennbar:
Am 27.11.1893 ist die Anmeldung eines auf 15 Jahre ausgestellten Patentes 234335 in Frankreich dokumentiert, bei dem es um ein „Neues Uhrensystem mit Aufzug“ geht.
Im Kern geht es im Patent darum, dass Uhrwerk und Gehäuse eine Einheit bilden. Bei dem im Patent abgebildeten Werk scheint es sich um eine Stiftankerhemmung zu handeln. Insgesamt hat das Bild allerdings keine Ähnlichkeiten mit den Werken, die wir weiter unten sehen werden! Das französische Patentamt hat mir bestätigt, dass dies das einzige Patent dieser Firma ist.Das Patent deutet darauf hin, dass die Firma schon früh eigene Uhrwerke herstellte. Das bestätigt auch die Schrift, die 1893 anlässlich der Ausstellung zum hundertjährigen Bestehen der Uhrmacherei in Besançon herausgegeben wurde:
Ebenfalls 1893 meldet die Association française pour l’avancement des sciences, dass die Société anonyme d’horlogerie de Besançon über mehr als 200 meist selbst entwickelte Werkzeugmaschinen und 400 Mitarbeiter verfügt, die bereits im ersten Geschäftsjahr 25.000 Uhren hergestellt haben. Außerdem hatte sie Verkaufsniederlassungen in Paris, Brüssel und Chicago. Die Niederlassung in Chigaco resultierte vermutlich aus der Teilnahme an der Weltausstellung, die 1893 in Chicago stattfand.Observatoriumswettbewerbe und Weltausstellungen
Die Société anonyme d’horlogerie de Besançon muss wohl in qualitativer Hinsicht recht erfolgreich gewesen sein. Sie gewann im Chronometer-Wettbewerb des Observatoriums Besançon bereits 1900 eine Goldmedaille und 1902 den Preis für die fünf in Summe besten Werke.
Auch auf der Weltausstellung 1900 in Paris räumte die Firma einen Grand Prix ab, wie die folgende Werbeanzeige von 1905 zeigt:
1905 ist die La Bisontine also bereits sicher im Besitz von Gruet und Billiotte. Mit dem bereits oben gezeigten Briefkopf von 1906 verliert sich die Spur der La Bisontine. In einem online verfügbaren Dokument namens TRIBUNAL DE COMMERCE DE BESANCON gibt es einen Hinweis darauf, dass die Gesellschaft von Gruet und Billiotte bis 1906 existiert hat. Ich konnte bisher nicht herausfinden, was danach aus ihr geworden ist.Die Uhrwerke
Nun wird es Zeit, endlich die Uhrwerke der La Bisontine näher anzuschauen!
Werk Typ 1: Zylinderhemmung, Schlüsselaufzug
Das erste Werk stammt aus dieser Taschenuhr mit einem Durchmesser von 41,5 mm, die vermutlich aus der Anfangszeit der La Bisontine, also um 1892, stammt:
Es ist ein Zylinderwerk mit Schlüsselaufzug, mit 10 Lagersteinen versehen und hat einen Durchmesser von 15 1/4´´´ (französische Linien).
Neben dem Werk enthält diese Taschenuhr nach zwei weitere interessante Details. Zum einen Hinweis auf dem innen liegen Staubdeckel auf denjenigen, der die Uhr vermutlich verkauft hat, nämlich Poncet Bonnamy À ALAIS. Zum anderen eine mit Sicherheit nach dem Kauf hinzugefügte Widmung auf der Innenseite des äußeren Deckels. Neben dem Namen Frès Augustin sind eine Blume, eine Person und ein Pferdekopf zu sehen:
Werk Typ 2: Zylinderhemmung, Kronenaufzug mit Drücker
Das zweite Werk steckt in dieser kleinen Damentaschenuhr, die einen Durchmesser von nur 31 mm hat. Es dürfte einige Jahre jünger sein als die erste gezeigte Uhr und aus der Zeit um 1900 stammen.
Das Werk hat ebenfalls eine Zylinderhemmung, aber bereits einen moderneren Kronenaufzug mit Drücker zur Zeigerstellung. Auch dieses Werk hat 10 Steine. Sein Durchmesser beträgt 12´´´ (27,4 mm), damit ist es nur knapp zwei Millimeter größer als eine 2 Euro-Münze.
Beide gezeigten Taschenuhren haben Gehäuse aus Silber die von der Société générale des monteurs de boîtes hergestellt wurden. Die Deckel der Uhren sind entsprechend mit SG und einem Schlüssel in einer Raute punziert:
Das Werk Typ 2 gibt es auch etwas größer mit einem Durchmesser von 16´´´ und zwar in der Lépine-Variante, also mit einer kleinen Sekunde bei 6 Uhr.
Werk Typ 3: Ankerhemmung, Kronenaufzug mit Drücker oder Hebel
Dieses Werk ist bereits ganz oben in diesem Artikel abgebildet. Leider ist es ohne Gehäuse zu mir gelangt.
Das Werk hat einen Durchmesser von 18 3/4´´´ und eine moderne Schweizer Ankerhemmung mit Kronenaufzug und Drücker. Es hat 15 Steine, eine Bimetall-Schraubenunruh mit Breguet-Spirale sowie eine kleine Sekunde. Diese liegt auf einer Linie mit der Aufzugswelle, sodass es sich um ein Lépine-Werk handelt.
Vom Typ 3 gibt es auch eine Savonnette-Version, bei der die kleine Sekunde im 90 Grad-Winkel zur Aufzugswelle liegt. Hier mit 19 3/4´´´ und einem Hebel statt einem Drücker zum Zeigerstellen.
Und eine kleines Werk mit nur 12´´´ vom Typ 3 gibt es auch für Damentaschenuhren, hier in der Lépine-Variante:
Bei diesem kleinen Werk hat das Federhaus sogar eine Malteserkreuzstellung:
Werk Typ 4: Zylinderhemmung, Kronenaufzug mit Drücker
Dieses Werk stammt ebenfalls aus einer Damentaschenuhr und hat einen Durchmesser von nur 11´´´ (24,8 mm).
Es hat eine Zylinderhemmung, 10 Steine sowie einen Kronenaufzug mit Drücker zur Zeigerstellung. Es hat modernere Brückenformen als die bisher gezeigten Werke, sodass ich es etwa um 1905 datieren würde. Obwohl La Bisontine schon früher Ankerwerke hergestellt hat, waren Zylinderwerke bei Damenuhren noch lange in Gebrauch.
Auch vom Typ 4 gibt es eine große Ausführung. Hier mit 18 ´´´ in der Lépine-Variante:
Die Bisontine-Werke, die mir bisher begegnet sind, haben einige besondere Merkmale:
- Die Abdeckung des Sperrrades sowie eine spezielle Form der Sperrklinke:
- Die Kloben des Sekundenrades und des Kleinbodenrades sind miteinander verbunden und werden durch eine gemeinsame Schraube gehalten:
Diese Kloben haben nur die Typen 1 bis 3 der gezeigten Werke. Bei Typ 4 befindet sich das Kleinbodenrad unter der Räderwerkbrücke.
Stammen die vorgestellten Werke wirklich von La Bisontine? Zweifel kamen auf, als ich denselben Werken in einigen Taschenuhren des Schweizer Herstellers Mermod Frères begegnet bin! In einigen, aber nicht in allen Fällen, sind diese Werke hochwertiger ausgeführt als die der La Bisontine. Das folgende Bild zeigt ein solches Werk, das mit einem Lagerstein für das Minutenrad im Zentrum, einem Deckstein für das Ankerrad sowie einer Schwanenhalsfeinregulierung ergänzt wurde.
Haben wir es jetzt mit französischen Werken in Schweizer Uhren zu tun oder mit Schweizer Werken in französischen? Nun ja, die Uhrenwelt war damals zwischen der Schweiz und Frankreich recht offen. Meines Erachtens sprechen die folgenden Punkte aber dafür, dass La Bisontine die Werke hergestellt hat:
- Das Kerngeschäft von Mermod Frères waren Spieluhren, nicht normale Uhren bzw. Uhrwerke.
- Mermod Frères hat diverse Zylinder- und Ankerwerke unterschiedlicher Bauformen und Hersteller verbaut, das spricht eher gegen eine eigene Werkeproduktion.
- La Bisontine hat diverse Varianten derselben Werkform verbaut. Solche mit Zylinder- und Ankerhemmungen sowie mit Schlüssel- und Kronenaufzug.
- La Bisontine hat auf jeden Fall eigene Uhrwerke hergestellt (siehe oben).
- Die Produktionskosten waren damals in Frankreich vermutlich geringer als in der Schweiz. Für La Bisontine hätte sich daraus beim Einkauf kein Vorteil ergeben, für Mermod Frères schon.
- Der wichtigste Hinweis ist allerdings eine Registrierung eines Uhrwerk-Modells, die ein Sohn des Bisotine-Gründers Rannaz 1909 im Schweizerischen Handelsamtsblatt angemeldet hat. Möglicherweise, weil diese (auch) nach dem Ende der La Bisontine in die Schweiz exportiert wurden.
Weißt du mehr über La Bisontine, deren Uhren oder Uhrwerke? Ich würde mich sehr freuen, von dir zu hören!