Havila – ein fast unbekannter Werkehersteller

Das erste Mal aufmerksam wurde ich auf Havila im Flume Hauptkatalog von 1912. Leider ist dort kein ganzes Werk abgebildet, sondern nur Werkteile.

Havila im Flume Hauptkatalog von 1912

Etwas später fand dann dieses hübsche Taschenuhrwerk zu mir, wie so oft ohne Gehäuse, dessen Räderwerkbrücke perfekt zur Abbildung oben passt:

Havilla 19“‘ (alt)

15 Steine, verschraubte Chatons, eine temperaturkompensierende Bimetall-Schraubenunruh mit Breguet-Spirale sowie eine Schwanenhals-Feinregulierung zeigen, dass es sich um ein durchaus hochwertiges Werk handelt. Leider hat das Werk im Flume-Hauptkatalog keine nähere Kaliberbezeichnung, sondern wird lediglich mit dem Durchmesser von 19“‘ (französische Linien), also ca. 42,9 mm, verzeichnet. Die Höhe des Werkes beträgt 6,2 mm.

Dieses Werk hat noch einen Kronenaufzug mit Drücker. Auf dem Bild aus dem Flume-Katalog ist aber eine Winkelhebelfeder zu sehen, es muss also auch eine Variante mit Kronenaufzug ohne Drücker geben. Hier ist sie:

Havila 19“‘ (neu)
Havila-Werbung (Quelle unbekannt)

Das Werk hat bereits einen modernen Kronenaufzug, aber eine ziemlich ungewöhnliche Winkelhebelfeder, die dafür sorgt, dass die Krone in beiden möglichen Positionen (normal und gezogen zum Zeigerstellen) einrastet. Diese Winkelhebelfeder ist nicht, wie heute üblich, auf der Zifferblattseite angebracht, sondern auf der Brückenseite der Werkplatine. Der rote Pfeil im nächsten Bild markiert die Stelle mit den zwei möglichen Einrastpositionen. Einen kleinen Vorteil hat die Konstruktion: die Winkelhebelfeder ist auch gleichzeitig der Winkelhebel, der die Aufzugswelle festhält.

Auf der Federhausbrücke findet sich ein Schweizer Kreuz und die Nummer 9293, vielleicht ein Hinweis auf ein Schweizer Patent mit der Nummer 9293?

Es gibt tatsächlich ein Patent CH9293 von 1894, das aber nichts mit Havila oder diesem Uhrwerk zu tun hat, handelt es sich doch um einen Karton zur Verpackung von Uhren. 9293 ist also keine Patentnummer! Was dann? Ein Blick in das Schweizerische Handelsamtsblatt von 1903 schafft Klarheit: es handelt sich um die Registrierungsnummer von zwei Werkkalibern, sogenannte Modelle:

Schweizerisches Handelsamtsblatt 28.01.1903. Registrierung 9293 von Th. Zumkehr-Montandon

Die Nummer 2 auf der Abbildung sieht dem oben gezeigten Werk doch sehr ähnlich!

Gut, war Havila also eine Marke von Th. Zumkehr-Montandon, auf dessen Name die Registrierung läuft? Nein, die Rechte an dieser Registrierung wurden 1906 auf Constant Houriet-Gindrat übertragen. Und schließlich 1913 gelöscht, da sie nach Ablauf der Schutzfrist nicht verlängert wurde. Mit Constant Houriet-Gindrat beginnt sozusagen die Geschichte von Havila: er gründet im August 1885 zusammen mit einem Familienmitglied M. Constant Houriet-Gindrat in Tramelan-dessus eine Firma, die seinen Namen trägt:

Schweizerisches Handelsamtsblatt 31.08.1885

Am 14.01.1907 ließ sich Houriet-Gindrat dann den Namen Havila registrieren:

Schweizerisches Handelsamtsblatt 14.01.1885 – Registrierung der Marke Havila

Auch weitere Markennamen wurden von ihm registriert, zu denen ich aber bisher keine Uhren finden konnte:

  • Trémolat (29.04.1903)
  • Hakila (18.12.1912)

Bereits am 28.06.1916 wurde die Firma Constant Houriet-Gindrat aufgelöst, nachdem am 20.04.1916 die Firma Houriet et Co. gegründet wurde, die auch Havila Watch Co. als zweiten Firmenamen eingetragen hatte:

Schweizerisches Handelsamtsblatt 20.07.1916 – Gründung der Houriet et Co.

Der Firmensitz war nun Genf, etwa 170 km vom bisherigen Sitz Tramelan-dessus entfernt. Constant Houriet-Gindrat taucht hier nicht mehr als Eigentümer auf, sondern vier andere Mitglieder der Familie Houriet:

  • Paul-William Houriet
  • Paul-René Houriet
  • Emile-Constant Houriet
  • Laure-Olga Houriet

In der Deutschen Uhrmacher-Zeitung vom 15.06.1916 wird angemerkt, dass sich Constant Houriet-Gindrat zur Ruhe gesetzt hat.

Einen kleinen Einblick in das Geschäftsleben von Havila zeigt uns diese Postkarte von 1917:

Adressiert ist sie an François Dancet, den Inhaber der Fabrique de Pignons (Fabrik für Räder/Triebe) in Marnaz in Frankreich. Havila fordert hier den Fabrikanten sehr dringend dazu auf, umgehend fehlerfreie Großbodenräder (Minutenräder) zu liefern, da die Lagerbestände aufgebraucht sind. Die mehrfache Betonung der Dringlichkeit und der geforderten Fehlerfreiheit deutet darauf hin, dass hier ein Problem mit dem Lieferanten schon längere Zeit bestand und eskalierte.

Bereits zum 01.03.1920 wurde die neue Firma wieder liquidiert, um gut zwei Wochen später, am 17.03.1920, als Fabrique de Montres Havila S. A. / Havila Watch Co. unter der Leitung von Paul-William und Paul-René Houriet wieder aufzuerstehen.

Schweizerisches Handelsamtsblatt 1920
Schweizerisches Handelsamtsblatt 1920

Aus dieser Zeit stammt diese Anzeige der Havila Watch Co. in der Revue Internationale de l’Horlogerie von 1920:

Anzeige der Havila Watch Co. in der Revue Internationale de l’Horlogerie 1920

Sie zeigt drei Lépine-Kaliber A, B und C, die unterschiedliche Qualitätsstufen aufweisen:

  • Havila A
    • 16 Steine, 4 davon in verschraubten Chatons
    • Schwanenhals-Feinregulierung
    • Von der Räderwerkbrücke getrennter Ankerradkloben
    • Reguliert auf max. 10 Sekunden Abweichung pro Tag
  • Havila B
    • 15 Steine, 3 davon in verschraubten Chatons
    • Schwanenhals-Feinregulierung
    • Ankerradlager in Räderwerkbrücke integriert
    • Reguliert auf max. 20 Sekunden Abweichung pro Tag
  • Havila C
    • 15 Steine, keine Chatons
    • Keine Schwanenhals-Feinregulierung
    • Ankerradlager in Räderwerkbrücke integriert
    • Reguliert auf max. 30 Sekunden Abweichung pro Tag

Alle drei Varianten haben einen Durchmesser von 19“‘, eine Höhe von 5,5 mm und eine Bimetall-Schraubenunruh mit Breguet-Spirale.

Havila A

Eine Taschenuhr mit dem Kaliber Havila B:

Die Schweizer und deutschen Silberstempel (Auerhahn bzw. Halbmond und Reichskrone) im äußeren Deckel weißen darauf hin, dass die Uhr in der Schweiz produziert und nach Deutschland importiert wurde.

Havila B

Und ein Havila C:

Havila C

Die jeweilige Kalibervariante A, B oder C ist neben dem Kronrad auf die Brücke graviert:

Anscheinend gibt es auch Mischformen der verschiedenen Varianten. Hier ein mit Havila B punziertes Werk, das einen getrennten Ankerradkloben, eigentlich ein Merkmal des Kalibers A, aufweist:

Mischform: Havila B mit getrenntem Ankerradkloben

Es gibt auch B-Varianten, die die für B typische Räderwerkbrücke haben, aber 16 statt 15 Steine aufweisen. In der Tat sind diese zwei Mischformen recht häufig zu finden.

Die Havila-Kaliber A, B und C scheinen Weiterentwicklungen des ganz oben gezeigten Werkes zu sein. So sind z. B. die Sperrklinken bei den Varianten A, B und C einfacher und moderner als beim Havila 19“‘:

Sperrklinke: links Havila 19“‘, rechts Havila A, B, C

Alle bisher gezeigten Havila-Werk sind Lépine-Kaliber. Bei diesen liegen die Aufzugswelle und die kleine Sekunde in einer geraden Linie. Vom Havila A und B konnte ich aber auch eine Savonnette-Variante finden, bei der diese zwei Linien einen Winkel von 90° bilden:

Havila A Savonnette-Variante
Havila B Savonnette-Variante

Diese Savonnette-Varianten haben einen Durchmesser von 19“‘ sowie eine Bimetall-Schraubenunruh mit Breguet-Spirale. Vom Havila C konnte ich bisher keine Savonnette-Version finden.

Es gibt ein weiteres Werk von Havila als Lépine- und als Savonnette-Variante, zu dem ich leider nirgendwo Informationen finden konnte:

  • Durchmesser 17 1/2“‘ (ca. 39,5 mm)
  • Höhe 3,6 mm
  • 15 bzw. 16 bzw. 17 Steine
    Das Werk in der nächsten Abbildung ist mit 15 Jewels punziert, hat aber tatsächlich 16. Vermutlich wurde der Stein für das zentrale Minutenrad nachträglich eingefügt. Das weiter unten gezeigte Lépine-Werk gibt es mit 16 und 17 Steinen.
  • Bimetall-Schraubenunruh mit Flachspirale oder Breguet-Spirale
    Das gezeigte Savonnette-Werk hat eine Flachspirale, das Lépine-Werk eine Breguet-Spirale.
  • Mit und ohne Schwanenhals-Feinregulierung
Havila 17 1/2“‘ Savonnette
Havila 17 1/2“‘ Lépine

Diese Werke sind am Rand der Federhausbrücke mit Havila Watch Co. S. A. Genève beschriftet.

Ich vermute, dass diese Werke erst nach den oben gezeigten entstanden sind. Sie haben einen moderneren Aufzugsmechanismus und deutlich flacher. Ich tippe mal auf die 1930er Jahre. Dafür spricht auch die Formsprache des Gehäuses, in dem das Lépine-Werk steckt:

Taschenuhr mit Havila 17 1/2“‘ Lépine

Am 18.11.1930 ging die Montres Havila schließlich in Konkurs, um 1932 ein weiteres Mal aufzuerstehen. Dieses Mal unter der Leitung von Emma Houriet, der Witwe von Constant Houriet, dem ursprünglichen Gründer von Havila.

Schweizerisches Handelsamtsblatt 1932

Die nächsten Meldungen zu Havila sind erst 15 Jahre später, am 07.08.1947, zu finden. Die Fabrique de Montres Havila S.A. wurde aufgelöst und gleichzeitig die Havila Wach, René Houriet, gegründet.

Schweizerisches Handelsamtsblatt 1947

Ob die Firma in dieser Zeit erfolgreich war und in welchem Umfang sie aktiv war, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen. Auf jeden Fall hat René Houriet die Registrierung der Marke Havila am 27.01.1948 verlängert.

Schweizerisches Handelsamtsblatt 1948, Verlängerung der Registrierung der Marke Havila

Am 30.11.1953 scheint die Geschichte der Firma Havila dann wirklich beendet zu sein. Sie wird durch den Inhaber selbst aufgelöst.

Schweizerisches Handelsamtsblatt 1953, Auflösung der Firma Havila

Über weitere Infos zu Havila würde ich mich natürlich sehr freuen!

 

3 Gedanken zu „Havila – ein fast unbekannter Werkehersteller“

  1. vielen Dank für diesen Artikel; so konnte ich einiges zur Herkunft und Einordnung meiner Havila B (in Nickelgehäuse) in Erfahrung bringen.

    mit besten Grüßen Herbert

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