ERFU war eine Marke der 1913 gegründeten Ernst Reiner KG aus Furtwangen im Schwarzwald, die bis heute existiert und u. a. noch immer Stempelsysteme herstellt.
Von hinten sieht der Zeitstempel nach Entfernen der Abdeckplatte so aus:
Mit den Abmessungen von 14,4 x 6,2 x 4,5 cm (HxBxT) und einem Gewicht von ca. 650 g handelt es sich hier um ein sehr solides Gerät, das sicherlich für eine intensive Nutzung ausgelegt war.
Der Zeitstempel besteht aus zwei Modulen, dem Stempelblock und dem Uhrwerk. Zuerst schauen wir uns den Stempelblock an. Als ich den Zeitstempel bekommen habe, sah er recht mitgenommen aus:
Nach dem Ausbau und einem längeren Ultraschall-Reinigungsbad sieht er fast wieder aus wie neu:
Der Stempel ist ein schönes Beispiel deutscher Feinmechanik. Da ist alles massiv, es wurde nicht an Präzision gespart und Plastikteile sucht man vergebens:
Die hier sichtbaren Zahnräder sind das Zeigerwerk der Zeitanzeige des Stempelblocks. Über den oberen Radkranz am linken Rad wird die Verbindung zum Uhrwerk hergestellt. Das linke Rad ist hier das Stundenrad, das rechte das Wechselrad, das Trieb auf dem linken Rad das Minutentrieb. Stundenrad und Minutentrieb tragen dann auf der Stempelplatte die Zeiger für die Zeitanzeige:
Das außen liegende Dreieck zeigt die Stunde an, der Zeiger innen die Minuten. Auf dem Bild oben ist es also 2:53 Uhr. Neben der Uhrzeit zeigt der Stempel auch den Tag (21.), den Monat (VII) und das Jahr (65) an. Außerdem, ob es Vormittag (V) oder Nachmittag (N) ist.
Für Metallstempel benötigt man ölhaltige Stempelfarbe. Die heute in Büros für Gummistempel übliche wasserlösliche Stempelfarbe ist nicht geeignet, da sie nicht an der Metallplatte haftet.
Tag inkl. Monat sowie Vormittag/Nachmittag werden an der Frontplatte des Stempels über zwei Hebel eingestellt:
Drückt man den linken Hebel nach unten, wird das Datum einen Tag weitergeschaltet. Und zwar nicht von 1 bis 31, sondern von 0 bis 39! Nach dem 39. wird der Monat automatisch weitergeschaltet und der Tag steht auf 0. Drückt man also einmal zu viel, so muss man ein ganzes Jahr durchklicken, um wieder zum Vortag zu kommen!
Mit dem rechten Hebel schaltet man zwischen Vormittag und Nachmittag um, da die Uhr nur eine 12 Stundenanzeige hat. Stellt man den Hebel in die Mitte zwischen V und M, so kann man an der Unterseite von Hand die Jahreszahl weiterdrehen. Die Scheibe mit der Jahreszahl hat zwölf Positionen, bei diesem Stempel geht sie von 63 bis 74. Ob der Hersteller angeboten hat, die Jahresscheibe nach zwölf Jahren auszutauschen, weiß ich leider nicht. Das System wurde aber anscheinend weiterentwickelt.
Ich habe einen weiteren Erfu-Zeitstempel aus der Zeit um 1969, bei dem die Jahreszahl aus zwei getrennten Scheiben besteht. Auf der Scheibe für das Jahrzehnt gehen die Zahlen von 6 bis 9, dann zur 0. Auf der Scheibe für das Jahr gibt es die Zahlen 0 bis 9. Damit lassen sich also die Jahre 60 – 09 darstellen. Das dürfte wohl gereicht haben.
Die mehrsprachige Beschriftung der Frontplatte ist beim linken Hebel für das Datum noch leicht erklärbar:
- Deutsch: Datum
- Französisch, Englisch: Date
- Spanisch: Fecha
- Portugiesisch: Data
Data könnte auch Italienisch sein, dafür gibt es aber am rechten Hebel kein italienisches Pendant.
Beim rechten Hebel ist es etwas schwieriger:
- Deutsch: N = Nachmittag, V = Vormittag
- Viele Länder, insbesondere englischsprachige: P. M. = Post meridiem = Nachmittag, A. M. = Ante meridiem = Vormittag
- Französisch: Apr. m. = Après-midi = Nachmittag, Av. m. = Avant-midi = Vormittag
- Spanisch, Portugiesisch: T. = Tarde = Nachmittag, M. = Mañana (ES) bzw. Manhã (PT) = Vormittag
Auf der Frontplatte steht außerdem die Nummer des deutschen Patents 854442:
In diesem 1950 eingereichten und 1952 erteilten Patent geht es im Kern um zwei Erfindungen:
- Ausrückbare Kupplung zwischen Uhrwerk und Druckwerk, um diese beim Stempelvorgang zu entkoppeln und so das Uhrwerk zu schützen
- Gemeinsames Zeigerstellen für Uhrwerk und Druckwerk, sodass die angezeigte Zeit immer synchron ist
Punkt 2 ist beim hier vorgestellten Stempel umgesetzt, Punk 1 nicht.
Das älteste Patent, das ich von Ernst Reiner für einen Zeitstempel finden konnte, stammt noch aus dem Deutschen Reich und ist von 1934. Es trägt die Nummer 615848 und hat den Titel Uhrzeit-Handstempel. Die folgende Abbildung stammt aus dieser Patentschrift:
So viel zum Stempelblock. Wir widmen uns nun dem verbauten Uhrwerk.
Auf der Abdeckplatte der Rückseite des Zeitstempels erfährt man bereits, dass es sich um ein 8 Tage-Werk handelt. Es läuft also acht Tage, bevor es wieder aufgezogen werden muss. Nach dem Entfernen der Abdeckplatte sieht man von hinten zunächst nur ein großes Federhaus, wir haben es also mit einem Werk mit Zentralfederhaus zu tun:
Die zwei Griffe dienen dem Aufziehen der Feder, der Pfeil gibt die Drehrichtung an. Mit dem Knopf in der Mitte wird das zentrale Minutentrieb auf der Zifferblattseite des Werkes gedreht und damit die Zeit gestellt.
In der Seitenansicht fällt eine Verzahnung des Federhauses ins Auge. Sie dient als Eingriff für die ebenfalls sichtbare Sperrklinke, die ein Rückdrehen des Federhauses verhindert, wenn man dieses aufzieht:
Die Zugfeder dieses Werkes wartet mit einer interessanten Besonderheit auf. Im nächsten Bild sieht man am rechten Rand des Federhauses einen Haken, der in eine Vertiefung der Federhauswand eingreift. Er ist Teil einer starken Feder mit etwa eineinhalb Windungen, an deren Ende die eigentliche Zugfeder eingehängt ist. Es handelt sich um eine sogenannte Schleppfeder.
Zieht man das Werk auf, merkt man deutlich einen Anschlag, sobald die Feder, so wie im Bild, voll aufgezogen ist. Dreht man mit etwas Gewalt dennoch weiter, so gleitet der Haken der Schleppfeder aus seiner Vertiefung, rutscht ein kleines Stückchen weiter, um dann mit einem sehr deutlich hörbaren Knacken in die nächste Vertiefung zu fallen. Es ist also nicht möglich, mit Gewalt die Feder so sehr aufzuziehen, dass sie reißt!
Das Prinzip der Schleppfeder nutzt man übrigens auch bei Automatikwerken, da deren Feder ja keinen Anschlag haben darf. Dort ist die Schleppfeder natürlich deutlich sanfter ausgeführt und gleitet an einer glatten Federhauswand ohne Vertiefungen entlang.
Auf der Zifferblattseite des Werkes sieht man zunächst eine Abdeckplatte, die zum einen als Träger des Zifferblattes dient, zum anderen lagert in ihr das Rad in der Mitte unten, das die Verbindung zum Zeigerwerk des Stempelblocks herstellt.
Beim Versuch, diese Halteplatte abzuschrauben, stellte sich heraus, dass die Schrauben durch eine Art Vernietung fixiert sind:
Eines der „Schlaglöcher“ fixiert die Schraube, die anderen scheinen Fixierungen zu sein, die wieder aufgebrochen wurden. Ich vermute, dass die Fixierungen nach jeder Revision des Werkes angebracht wurden und bei der nächsten Revision wieder aufgebrochen werden mussten. Interessanterweise finden sich auf der Rückseite des Zifferblattes mehrere Revisionsvermerke vom 31.03.1965, 12.07.1966, 22.08.1969 und 05.09.1972:
Warum die Schrauben vernietet wurden, ist mir nicht klar. In der Uhrmacherei ist so etwas eigentlich verpönt. Mit diesem kleinen Werkzeug konnte ich die Vernietungen öffnen:
Unter der Platte kommt dann das eigentliche Werk zum Vorschein:
Entfernt man das zentrale Stundenrad, das den Stundenzeiger trägt, und das Rad unten in der Mitte, so verbleibt auf der Oberseite das Wechselrad (nicht zu verwechseln mit dem oben beschriebenen Wechselrad des Stempelblocks). Es sitzt auf der Achse des vom Federhaus angetriebenen Beisatzrades und wird durch einen Sprengring gehalten wird. Entfernt man diesen, kann man das Rad abheben:
Darunter befindet sich eine schwarze Federplatte und eine dünne rote Scheibe. Zusammen wirken sie als Rutschkupplung zwischen Beisatzrad und Wechselrad. Diese dient der Zeigerreibung, die für das Stellen der Zeiger unerlässlich ist. Im Zentrum sieht man das Minutentrieb, auf dem der Minutenzeiger sitzt. Die Achse des Minutentriebs geht durch das Werk und das Federhaus hindurch und trägt auf der anderen Seite den Drehknopf zum Zeigerstellen.
Das Wechselrad nimmt hier also gleich mehrere Funktionen wahr:
- Übersetzung zwischen Minutentrieb und Stundenrad (klassische Funktion des Wechselrads)
- Indirekter Antrieb des Zeigerwerks des Uhrwerks
- Indirekter Antrieb des Zeigerwerks des Stempelblocks (über das Zwischenrad unten in der Mitte des Werkes)
- Zeigerreibung
Nach dem Entfernen von drei Schrauben kann das Werk vom Federhaus getrennt werden. An der im nächsten Bild rot markierten Stelle befindet sich der Zapfen für den Sekundenzeiger, der bei diesem Zeitstempel aber ungenutzt bleibt.
Auf der dem Federhaus zugewandten Seite des Werkes sieht man das Trieb des Beisatzrades, das vom Federhaus angetrieben wird:
Zwischen den zwei Platinen befindet sich ein klassisches Räderwerk, bei dem der Kraftfluss so erfolgt: Federhaus -> Beisatzrad -> Großbodenrad (dezentral) -> Kleinbodenrad -> Sekundenrad -> Ankerrad -> Anker -> Unruh
Bei einem normalen Taschen- oder Armbanduhrwerk treibt das Federhaus das Großbodenrad an, es gibt also kein Beisatzrad. Dieses ist typisch für 8 Tage-Werke. Da sich das Federhaus wesentlich langsamer dreht, ist hier eine weitere Übersetzung nötig.
Ungewöhnlich ist hier lediglich das Großbodenrad, das sich nicht in der Funktion des Minutenrads im Zentrum befindet, sodass die Minute, wie oben beschrieben, indirekt über das Beisatzrad angetrieben wird.
Laut Aufschrift auf dem Zifferblatt sollte dieses Werk 7 Steine (Rubine) haben, tatsächlich sind es aber 9! Neben den Unruhlagern (2) und deren Decksteinen (2), der Ellipse (1) und dem Anker (2) hat auch das Sekundenrad Lagersteine (2).
Das nächste Bild zeigt die Verbindung zwischen Werk und Stempelblock im Detail:
Wer war nun der Hersteller dieses Werkes? Mit dem Flume Großuhrschlüssel G2 von 1967 konnte ich es als Baeuerle HDO 2 identifizieren:
Mit Baeuerle ist hier die Firma Tobias Baeuerle & Söhne in St. Georgen im Schwarzwald gemeint. Sie wurde 1864 gegründet und ging 2001 schließlich in die Insolvenz. Der Inhaber hieß wohl Bäuerle, die Firma aber Baeuerle! Nicht zu verwechseln mit der Mathias Bäuerle GmbH, ebenfalls in St. Georgen. Von Furtwangen, dem Firmensitz der Ernst Reiner KG, sind es nur 17 km nach St. Georgen!
Ob das Werk von Baeuerle extra für Reiner entwickelt wurde oder Reiner das zusätzliche Rad für die Verbindung zum Stempelblock selbst angebracht hat, konnte ich nicht herausfinden.
Die Angabe der Schlagzahl fehlt übrigens im Flume G2. Nach eigener Messung beträgt diese 18.000 A/h (Halbschwingungen der Unruh pro Stunde) und entspricht damit der Schlagzahl eines klassischen Taschen- bzw. Armbanduhrwerkes. Typische 8 Tage-Werke haben dagegen meist nur gemütliche 300 A/h. Das Baeuerle HDO 2 schwingt also 60 Mal schneller. Das kostet zwar mehr Energie und reduziert die Gangreserve, dient aber dazu, kleine Störungen der Unruh schneller auszugleichen. Und jeder einzelne Stempelvorgang hatte mit Sicherheit einen Einfluss auf das Schwingen der Unruh!
Der Zeitstempel sollte übrigens nicht stehend auf einer Unterlage, sondern hängend gelagert werden, da andernfalls die Unterlage auf die Zeitanzeige des Stempelblocks drückt und so das Werk irgendwann stehen bleibt. Wie im nächsten Bild gezeigt, nimmt der Halter auch das Stempelkissen auf.
Hallo,
Ich weiß nicht, ob dieser Blog noch aktiv ist, dennoch hier meine Frage:
die Scheiben für die Jahreszahl zeigen bei meinem Stempel in der ersten (Zehner) Position nur die Ziffern 0,9 (2x), 8 (2x) und 7 (2x) an, der Rest dieser Scheibe ist frei. Was hat das zu bedeuten? Danke und VG
Ich habe im Blog eine ähnliche Variante beschrieben. Ich vermute, dass dein Zeitstempel frühestens von 1970 stammt. Dann kannst du damit alle Jahre von (19)70 bis (20)09 einstellen. Dass der Stempel nach 40 Jahren immer noch verwendet werden könnte, hatte der Hersteller wohl nicht vorgesehen.
Hallo Frank,
für mich war der Artikel auch interessant.
Denn ich habe auch solch einen Zeitstempel mit der D-Patent-No. 85442 und auf der Rückseite mit der ,ich nehme an, Stück-No. 19449. Diesen habe ich in der Familie geerbt.
Das Besondere an meinem Zeitstempel, dass diese in der DDR (ca. Anfang 80er Jahre), wohl als Präsent, durch ein Berliner Bau-Unternehmen verschenkt wurde. Die Stempelplatte trägt auch den Namen dieses Unternehmens. Angeblich war dieser Stempel ein Geschenk aus England. Nun weiß ich aber, dass dieser im Schwarzwald hergestellt wurde.
Danke.
Gruß
Michael
Hallo Herr Kelz,
sehr interessanter Artikel. Es ist erstaunlich, wie genau Sie sich mit diesem schönen Teil Mechanik ohne Chip und Batterie auseinandergesetzt haben.
Ich habe auch solch einen Zeitstempel. Dass dieses Teil „schwebend“ gelagert werden muss, um korrekt zu funktionieren, ist ein guter Hinweis.
Können Sie einschätzen, was dieses Teil für einen Wert hat?
Viele Grüße
Frank
Hallo Frank,
normalerweise äußere ich mich nicht zum Wert von Uhren oder ähnlichen Artikeln. In diesem Fall gehe ich davon aus, dass solche Zeitstempel keinen nennenswerten Wert haben, da sie weder selten noch begehrt sind. Sie sind einfach interessante Zeitzeugen.
Sehr interessanter Beitrag. Ich vermute die Differenz in der Anzahl Steine rührt daher, dass die Lagersteine am Anker nicht mitgezählt werden. Schreibfehler: war statt wahr.
Hallo Andreas.
Bei der Angabe der angezeigten Zeit ist dir ein kleiner Fehler unterlaufen.
Es zeigt nicht wie von dir angegeben 02:58 Uhr, sondern 02:53 Uhr an.
Gruß, Hans
Hallo Hans,
du hast natürlich Recht. Vielen Dank!